Theater:Warten auf Philipp Lahm

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Kein Promi, nicht einmal ein Fußballwitz. Das Theaterstück über den Fußballweltmeister am Münchner Residenztheater enttäuscht FC-Bayern-Fans und Sportreporter gleichermaßen. Und das ist sehr gut.

Von Christiane Lutz

Angenommen, es gäbe ein Theaterstück über Philipp Lahm und Philipp Lahm käme darin nicht vor. Er spielte nicht auf der Bühne und säße nicht im Zuschauerraum. Nicht mal ein Fußballwitz würde gemacht, aber es stünde trotzdem ganz eindeutig "Philipp Lahm" auf der Theaterkarte. Irritierend wäre das. Und enttäuschend. Genau das ist passiert bei der Uraufführung von "Philipp Lahm" im Marstall des Münchner Residenztheaters. Philipp Lahm kommt einfach nicht. Er kommt nicht mal vor im Theaterstück. Zumindest nicht wirklich.

Was waren alle aufgeregt, als das Residenztheater im Frühjahr die Pläne für die neue Spielzeit verkündete und plötzlich der Name eines Fußballers zwischen Shakespeares Richard III. und Ibsens Volksfeind auftauchte. "Kein Prominenten-Biopic" habe der junge, aufstrebende Autor Michel Decar geschrieben, hieß es damals. Sofort sorgten sich einige Sportmagazine, Lahms Vermächtnis an Deutschland und den Fußball könnte durch so ein Stück beschmutzt werden. Und überhaupt: Wäre ein Musical nicht die passendere Form der Würdigung? Andere verglichen den Lahm-Schauspieler Gunther Eckes mit einem italienischen Landarbeiter, enttäuscht darüber, dass der ja so gar nicht aussähe wie Philipp Lahm. Wieder andere streckten Gunther Eckes ihren FC-Bayern-Ausweis ins Gesicht, weil er doch jetzt einer von ihnen ist. Doch der echte Philipp Lahm schwieg. Bis heute.

Wahrscheinlich hat sich Autor Michel Decar schon damals prächtig amüsiert, als er das mitbekommen hat. Es ist ja auch ziemlich genial: ein Stück zu schreiben, das die Fallhöhe schon im Namen liefert. Ein Name, zu dem absolut niemandem nichts einfällt. Von dem niemand nichts erwartet. Ein Name, mit dem man auf den Panorama-Seiten statt im Feuilleton landet. Und dann einfach gnadenlos sämtliche Erwartungen unterwandern.

Der Theaterabend, den der Regisseur Robert Gerloff inszeniert hat, fängt dann aber zunächst einmal recht fußballerisch an. Stadiongesänge aus dem Off begleiten eine Videoprojektion, in der ein Mann die Arme in die Hüften stemmt wie in einem dieser Werbespots für Sportschuhe. Aus dem Off eine Stimme: "Figuren: Philipp Lahm, Philipp Lahm. Ort der Handlung: Philipp Lahm. Zeit: Philipp Lahm." Dann tritt Gunther Eckes auf, trägt Ringelstrümpfe zu einem Jackett, das an den Stellen sehr dick gepolstert ist, wo manche Muskeln haben. Und in einem raumgewordenen Wandtattoo geht er nun seinem Alltag nach.

Das bedeutet nicht etwa: Abhängen mit Arturo Vidal, sondern: Fingernägel schneiden, Tagesschau schauen, Tagesthemen schauen, Zwergkaninchen streicheln. Er überlegt, nach Neuseeland zu reisen. Macht er dann aber nicht. In ganz unkontrollierten Momenten holt er sich eine Tafel weiße Nussschokolade und isst sie komplett. Er sagt Sätze wie: "Ein Halbfinale zu verlieren ist nie schön. Aber es geht dann wieder aufwärts". Oder: "Ich sehe gern fern und gehe früh ins Bett". Oder: "Ich versuch, positiv zu bleiben und das Beste aus meinem Leben zu machen".

Das sind Sätze, wie sie der echte Philipp Lahm in einem dieser verschwitzten Interviews kurz nach Abpfiff zwar durchaus gesagt haben könnte. Philipp Lahm, der Vollprofi. Immer höflich, meist diplomatisch - auf dem Platz und daneben. Und noch heute, wo er Stiftungen gründet und Unternehmern die Hand schüttelt: kein Ausrutscher, kein falsches Wort. Aber es sind eben auch Sätze, wie sie irgendwer sagen könnte.

Philipp Lahm ist deutscher Alltag 2017: Mäßigung und Zufriedenheit

Auf dieser polierten, lakonischen Textfläche tanzt Gunther Eckes elegant herum, stets in Augenkontakt mit dem Publikum, mangels alternativer Anspielpartner. Seine Figur fühlt sich sichtlich wohl in ihrer Haut und in ihrer langjährigen Beziehung. Womit dieser Philipp Lahm übrigens eine neue Männlichkeit verkörpert, die sich nicht über schnelle Autos und Proletengedöns definiert, sondern durch funktionierende Beziehungen und einen gesunden Zugang zu den eigenen Gefühlen. Gar nicht schlecht, so ganz nebenbei.

Philipp Lahm wird von Szene zu Szene zufriedener. So derart zufrieden, dass er selbst immer mehr davon genervt zu sein scheint. Doch der große Ausbruch findet nicht statt. Oder nur auf der Videoprojektion, wo ein Bagger das Zimmer tonlos zerstört. Zum großen Finale sitzt Philipp Lahm zu Hause und puzzelt ein Dinosaurier-Puzzle. Dann ist Schluss.

Vollkommen konsequent, dass die Premierenfeier im Anschluss an die Vorstellung absolut skandalfrei verläuft. Zwar wird gemunkelt, dass jemand aus Lahms Management im Publikum gewesen sein soll, aber spätestens jetzt ist auch dem letzten Sensationslüstling klar, er wird ohne ein Drama nach Hause gehen.

Das ist das Schönste an diesem Abend: Sämtliche Hoffnungen an ihn bleiben einfach unerfüllt.

Unerfüllt bleibt die Hoffnung des Sportreporters auf einen Fußballwitz, die des FC-Bayern-Fans auf den echten Philipp Lahm und die des herkömmlichen Theaterzuschauers, Abgründe mögen sich doch bitte schön auftun. Und so bleibt einem gar nichts anderes übrig, als in sich selbst hineinzuschauen und festzustellen: Philipp Lahm, das bin ja ich.

Philipp Lahm ist deutscher Alltag 2017. Philipp Lahm ist Mäßigung und Zufriedenheit. Das Leben hält nun mal nicht jeden Tag 250 km/h auf der Autobahn bereit, sondern oft nur eine Tafel Nussschokolade. Das Leben ist nicht immer Berlin, es ist meistens Kassel-Wilhelmshöhe. Und das ist nicht schlimm. Im Gegenteil.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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