Spanien:Rätselhafter Luxus

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Autor: unbekannt. Inhalt: unverständlich. Zustand: uralt. Wer gibt trotzdem 10 000 Euro für die Nachbildung eines solchen Buches aus? Nachfrage auf der Buchmesse in Madrid.

Von Thomas Urban, Madrid

Es ist eines der geheimnisvollsten Bücher der Menschheit, ein großes Rätsel, an dessen Lösung nicht nur unzählige Linguisten und Historiker gescheitert sind, sondern auch die Experten des CIA und einiger anderer Geheimdienste. Und derzeit ist es das Buch der Bücher auf der Madrider Buchmesse. Dort erzielt schon die Kopie davon eine unglaubliche Summe: "Mehr als 10 000 Euro", raunt der Repräsentant des kleinen Siloé-Verlags, er lacht mit der Abendsonne.

Die Buchmesse findet im berühmten Retiro-Park mitten in Madrid statt. Mehr als 300 Verlage, Buchhandlungen und Institutionen haben weiß gestrichene Buden gemietet, um ihr Sortiment auszustellen. Ein halbes Dutzend kleiner Verlagshäuser hat sich auf Faksimile kostbarer historischer Folianten und Fibeln spezialisiert. Ein solches Faksimile ist auch "Voynich" aus Burgos; das Original, benannt nach seinem Wiederentdecker, dem polnischen Antiquar Wilfrid Michael Voynich, wäre auf dem Sammlermarkt viele Millionen wert. Doch es liegt in einem Tresor mit stabiler Temperatur und Luftfeuchtigkeit der Yale-Universität im US-Bundesstaat Connecticut auf der anderen Seite des Atlantiks.

Liegt wohlverwahrt in einem Tresor der Yale-Universität im US-Bundesstaat Connecticut: Das originale Voynich-Manuskript. (Foto: Beinecke Rare Book & Manuscript )

Das 102 Seiten umfassende Werk entstand Anfang des 15. Jahrhunderts. Die Wörter darin passen zu keiner bekannten Schrift, Kryptologen mit Hochleistungscomputern scheitern bislang daran, den Code zu knacken - sollte es sich überhaupt um einen handeln. Auch die kolorierten Tintenzeichnungen geben Rätsel auf: Pflanzen, nackte Frauen, Sternenhimmel, gemalt im Stil des endenden Mittelalters, und dabei scheint es, als habe der Illustrator - falls es nur einer war - mit Absicht Groteskes und Falsches eingebaut, Fehlersuchbilder sozusagen.

Zu den Vorbesitzern des Werkes gehörte der deutsche Kaiser Rudolf II., der sich für Alchimie interessierte. Wie das Buch später in ein italienisches Jesuitenkolleg gelangte, wo es Voynich 1912 aufgestöbert haben will, ist unbekannt. Als dieser seinen Fund kundtat, geriet er erst einmal in den Verdacht, das Werk aus Wichtigtuerei selbst angefertigt zu haben. Mittlerweile gibt es zahlreiche Theorien: Es sei ein Rätselbuch für einen Monarchen, das Manifest einer geheimen Bruderschaft, der Schabernack eines gelehrten Mönchs, der die Nachwelt narren wollte.

Momentan wird in den Werkstätten von Burgos an den Faksimile gearbeitet, sie entstehen durch eine Kombination aus Kunsthandwerk und Computertechnik. Wie schafft man es, dass das Papier sich so anfühlt, so raschelt und knistert wie altes Pergament? Firmengeheimnis.

Der Verlag will eine Edition von 898 Exemplaren herausbringen, zwei Drittel sind angeblich schon vorab verkauft. Wer aber gibt 10 000 Euro für die Nachbildung eines uralten Buches aus, über das man kaum etwas weiß? Bibliophile Sammler und Anleger, die auf eine Wertsteigerung hoffen, so der Verlag. Einer der Käufer, der Besitzer von Luxus-Friseursalons, wolle seine Kundschaft mit dem Faksimile "zum Denken anregen". Und viele Käufer wollen dieses große, in Pergament gebundene Geheimnis ihr Eigen nennen, sagt der Verlagsvertreter. Für sie liegt der Wert zwischen den Zeilen: Der Mythos selbst ist der Luxus.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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