Silvester:Still, still, still

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Luftverschmutzung, Brandrisiko und Verletzungsgefahr: Dutzende Städte in Deutschland haben zum Jahreswechsel Böllerverbote erlassen. Kein Problem, es geht ja auch ohne Böller und Raketen.

Von Oliver Klasen

Böller und Raketen explodieren auf der Straße an der Oberbaumbrücke in Berlin. (Foto: dpa)

Den kurzen, aber eindringlichen Appell "Brot statt Böller" ersann das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" bereits im Jahr 1980. Wäre doch ein aufmunterndes Signal, wenn die Deutschen zum Jahreswechsel nicht Millionensummen in den Nachthimmel schießen, sondern das Geld an die Armen der Welt spenden würden.

Doch auch, wenn den Slogan fast jeder kennt, der Aufruf war nur wenig erfolgreich. Geböllert, gezündelt und geknallt wurde trotzdem. Vielleicht, weil die Deutschen sich partout nichts verbieten lassen wollten. Vielleicht, weil ihnen klar war, dass man globale Ausbeutung nicht mit 20 Minuten Askese beenden kann. Und vielleicht ja auch, weil der Wohlstand in der westlichen Welt so groß ist, dass theoretisch beides geht: für Hilfsorganisationen spenden und an Silvester böllern.

Inzwischen, fast 40 Jahre später, steht das private Feuerwerk zum Jahreswechsel aus anderem Grund in der Kritik. Mehr als 130 Millionen Euro wurden in Deutschland vergangenes Jahr in den Himmel geschossen. Und kaum etwas ist in so kurzer Zeit derart schädlich für die Umwelt, argumentieren Feuerwerksgegner, und sie haben dieses Jahr im Zuge der "Fridays for Future"-Bewegung und der Debatten um die Klimakrise viel Unterstützung bekommen.

Die Drohnen-Lichtshow

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(Foto: dpa)

Die Idee: Hunderte mit LED-Lampen ausgestattete Drohnen fliegen in der Luft, so programmiert, dass sie sich wie ein Vogelschwarm formieren und gigantische, sich bewegende Lichtbilder an den Himmel malen. So was kann sonst nur der Zauberer Gandalf in "Der Herr der Ringe". Die Kosten: Okay, nicht ganz billig, aber wenn man sich in der Nachbarschaft zusammentut und gemeinsam bucht, lässt sich das schon stemmen: Es haben ja auch alle was davon. Der Spaßfaktor: Was bitte ist noch mal ein Feuerwerk?

Die Butterbrottüte

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(Foto: mauritius images / STOCK4B)

Die Idee: Weshalb mit Böllern Kleidung, Extremitäten und Trommelfell gefährden, wenn sich seit der Schulzeit die Butterbrottüte bewährt hat: ausleeren, mit Luft füllen, platzen lassen. Die Kosten: Tendieren gegen Null. Jedenfalls sind sie deutlich günstiger als Holzratschen oder Startklappen, wie man sie von den Bundesjugendspielen kennt. Der Spaßfaktor: Kann man noch steigern, wenn man statt Butterbrot- Getränketüten verwendet: durch den Strohhalm aufblasen, auf den Boden legen, drauf springen. Noch lustiger, wenn sie randvoll mit grausiger Orangen-Limonade sind.

Das Pfeifen

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(Foto: dpa)

Die Idee: Dieses Feuerwerk erzeugt weder Rauch noch Müll, denn es ist lediglich mit den Ohren wahrnehmbar. Dazu einen langgezogenen Pfeifton ausstoßen, anschließend mit einem Kochlöffel auf eine große Schachtel hauen, um den Knall zu imitieren - schon steigt die Rakete vor dem geistigen Auge steil gen Himmel. Die Kosten: Kostet keinen Cent, lediglich ein wenig Geduld - zu pfeifen wie ein Fußballtrainer will gelernt sein. Der Spaßfaktor: Grenzenlos, weil nachhaltig. Wer die Kunst des durchdringenden Pfiffs beherrscht, dem entfleucht später auch kein Taxi mehr.

Die Deutsche Umwelthilfe, die bereits in mehreren Städten Dieselfahrverbote erzwang, weist auf den immensen Feinstaubausstoß in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar hin. Er macht gut 15 Prozent des Feinstaubs aus, den der gesamte Straßenverkehr in Deutschland in einem Jahr produziert. Im Juli und Oktober schrieb die Umwelthilfe 98 Städte an, in denen die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Feinstaub-Grenzwerte überschritten waren, und beantragte Böllerverbote.

Zumindest in vielen Innenstädten haben die Behörden die silvesterliche Knallerei tatsächlich eingeschränkt. Einige Stadtverwaltungen handhaben das schon seit Jahren so, andere haben angesichts der aktuellen Diskussion nachgezogen.

Wer Böller und Raketen als Zumutung empfindet, sollte vielleicht ganz in den Norden fahren. Auf den Nordseeinseln Amrum und Sylt ist privates Feuerwerk zu Silvester komplett verboten. Auf Föhr darf nur am Strand und im Abstand von 200 Metern zu Häusern geböllert werden. Das dient in erster Linie dem Brandschutz. An der Nordsee gibt es häufig Reetdächer, die leicht entflammbar sind. Auch in den Ortschaften auf den Ostsee-Inseln Hiddensee, Rügen und Darß ist das private Silvesterfeuerwerk verboten.

Sicherheitsbedenken

Dutzende weitere Städte und Gemeinden in Deutschland haben Böllerverbote erlassen, die sich meist auf historische Altstädte oder von Polizei und Feuerwehr als besonders kritisch eingeschätzte Plätze erstrecken.

In München darf zum Beispiel auf dem Marienplatz kein Feuerwerk abgebrannt werden, in Stuttgart gilt das Verbot für die Gegend um den Schlossplatz, in Berlin für die Partymeile am Brandenburger Tor und für Teile des Alexanderplatzes.

In Köln ist das Böllern in diesem Jahr wie in jedem Jahr seit 2016 rund um den Dom verboten. Das ist eine Folge der Silvesternacht 2015, in der nicht nur Hunderte Frauen sexueller Gewalt ausgesetzt waren, sondern auch massenhaft Passanten und Polizisten mit Feuerwerkskörpern beschossen wurden.

Sicherheitsaspekte sind überall der wichtigste Grund, aus dem die Behörden das Silvesterfeuerwerk einschränken. Umweltaspekte oder die Kosten der Müllbeseitigung spielen für die Städte offenbar nur eine geringe Rolle. Vielleicht tröstet die Befürworter der Knallerei ein Blick nach China. Obwohl das Feuerwerk dort seinen Ursprung hat und dem hierzulande beliebten Böller seinen Namen gibt, wurden schon in mehr als 400 chinesischen Städten private Feuerwerke verboten.

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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