Russlands Polizei:Präsident gegen Polizei

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Willkür, Gewalt, Korruption und Polizeimajor, der in einem Amoklauf zwei Menschen tötete: Russlands Gesetzeshüter haben einen miserablen Ruf. Nun greift Medwedjew durch.

Sonja Zekri, Moskau

Es sind schwarze Tage für die russische Polizei, aber sie könnten eine Wende zum Besseren bringen - und sei es nur, weil es schlechter kaum werden kann. Am Freitag ist Polizeimajor Denis Jewsjukow zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nachdem er im April 2009 bei einem Amoklauf in einem Supermarkt zwei Menschen erschossen und mehr als zwanzig verletzt hatte. Am Donnerstag hatte der russische Präsident Dmitrij Medwedjew siebzehn Miliz-Generäle entlassen, unter ihnen zwei Vizeminister.

Der zu lebenslanger Haft verurteilte Polizeimajor Denis Jewsjukow. (Foto: Foto: dpa)

Die Polizei soll nach dem Willen Medwedjews nicht länger für die technische Überwachung von Autos, die Ausnüchterung Betrunkener und die Abschiebung von Illegalen zuständig sein; bis 2012 soll die Zentrale zudem 20 Prozent ihrer Mitarbeiter einsparen. Innenminister Raschid Nurgalijew hat einen Monat Zeit, um entsprechende Vorschläge zu erarbeiten. Medien sprechen von einem "beispiellosen" Schritt.

Eine Polizei, die schlägt, tötet, rafft

Am Anfang der Entwicklung aber stand Jewsjukow. Kaum ein Gerichtsverfahren der jüngsten Zeit hat solche Beachtung gefunden, denn sein Verbrechen gilt als symptomatisch für eine Polizei, die schlägt und tötet, rafft und raubt, und welche die meisten für eine Terrortruppe auf Staatskosten halten. Er ist der Modellfall für das, was Kritiker die "Psychologie der Straflosigkeit" nennen.

Video-Aufzeichnungen zeigen ihn auf seinem Mordzug im nächtlich leeren Supermarkt "Insel" im Moskauer Stadtteil Zaryzino. Bedächtig streift Jewsjukow in Polizeiuniform durch die Gänge, schießt einen Mann nieder, erschießt im Vorbeigehen die Kassiererin, lädt in Ruhe nach und treibt die Mitarbeiter des Supermarktes vor sich her. Eine Zeugin sagte aus, sie habe ihm Geld angeboten, damit er sie freilässt: "Ich brauche kein Geld, ich brauche Gehirn", soll er entgegnet haben. Zuvor hatte er einen Taxifahrer erschossen. "Er wollte nicht nur töten, sondern Macht demonstrieren", sagte Staatsanwältin Amalija Kostojewa.

Jewsjukow selbst entschuldigte sich zwar bei den Angehörigen, wirkte aber fast selbstbewusst. Er gestand nur, was auf dem Video zu sehen war und erklärte, er könne sich an nichts erinnern. Dass er Geburtstag in einem Restaurant feierte, etwas trank, in eine andere Kneipe fuhr, das wisse er noch. Dann aber sei der Faden gerissen. Ob er betrunken war oder überlastet (er wurde mit 31 Jahren Dienststellenleiter), ob es Streit gab, eine Vorerkrankung oder ob Jewsjukow, wie ein Zeuge behauptete, unter Hypnose stand - all das klärte das Gericht nicht. Einer der spektakulärsten Kriminalfälle des Landes bleibt somit ohne Motiv.

Tägliche Negativschlagzeilen

Für die meisten Russen geht es ohnehin um anderes. Zwar wurde direkt nach dem Amoklauf der Moskauer Polizeichef entlassen. Innenminister Nurgalijew, dessen Karriere inzwischen am seidenen Faden hängt, versprach, den psychologischen Dienst der Polizei wiederzubeleben, der aus Kostengründen eingestellt worden war. Und doch war dieser Fall nur der Auftakt zu einer Serie von Gewalttaten, von Polizisten ausgeführt, wie sie früher möglicherweise nicht seltener geschahen, jetzt aber fast täglich Schlagzeilen machen.

Allein im Februar, notierte die Nowaja Gaseta, wurden zwei Milizionäre im Gebiet Kurgan wegen Vergewaltigung verurteilt, andere in Baschkortostan wegen Folter. In Uljanowsk erstickte ein Polizist einen Eisenbahnmitarbeiter, in Karatschajewo-Tscherkessien erschlug ein Beamter einen Anwohner. Bei Astrachan wurden 19 Verkehrspolizisten und in Moskau ein hochrangiger Beamter des schnellen Einsatzkommandos wegen Korruption festgenommen.

15.000 Korruptionsverfahren gegen Beamte

Dass dies nur die bekannten Fälle sind, weiß auch der Präsident. 15.000 Korruptionsverfahren gegen Beamte seien eröffnet worden, so Medwedjew am Donnerstag. "Es ist nur die Spitze des Eisbergs."Polizisten wie der mittlerweile landesweit bekannte Milizionär Alexej Dymowskij haben in Video-Auftritten Korruption und Gewalt selbst an die Öffentlichkeit gebracht.

Sogar Mitglieder der schlagkräftigen Elitetruppe Omon klagten über schlechte Arbeitsbedingungen. Aber der Apparat leistet Widerstand und lässt sich nicht leicht umsteuern. Dymowskij sitzt in Untersuchungshaft und könnte in der Psychiatrie landen. Der Student Wsewolod Ostapow, der von Milizionären eine Nacht lang misshandelt worden war und sich zur Wehr setzte, wurde soeben wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Entsprechend vorsichtig beurteilt der Vorsitzende der Moskauer Anwaltskammer Genri Resnik in der Zeitung Gaseta die Chancen für Medwedjews Reformversuch: "Diese Behörde braucht einen grundlegenden Umbau." Die Polizei müsse begreifen, dass sie Teil der Gesellschaft sei, dass die Beamten im Dienste der Menschen arbeiten - "und nicht für die Macht".

© SZ vom 20.02.2010/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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