Russland:Orthodoxe Kirche wählt neuen Patriarchen

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Erstmals seit dem Ende der Sowjetunion wählt ein Konzil der russisch-orthodoxen Kirche einen neuen Patriarchen. Dabei gilt der Metropolit Kirill als klarer Favorit.

F. Nienhuysen

Fast zwei Monate nach dem Tod von Patriarch Alexij II. hat die russisch-orthodoxe Kirche am Dienstagnachmittag mit der Wahl eines Nachfolgers begonnen. Mit dem Ergebnis wurde noch am Abend gerechnet. Spätestens jedoch am Mittwoch soll der Name des 16. Patriarchen feststehen.

Das Landeskonzil der russisch-orthodoxen Kirche trat am Dienstag in der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau zusammen, um den neuen Patriarchen zu wählen. Dem bislang größten Gremium der russischen Kirchengeschichte gehörten 711 Bischöfe, Geistliche und Laien aus 60 Ländern an - deutlich mehr Mitglieder als je zuvor. (Foto: Foto: dpa)

Als aussichtsreichster Kandidat galt Kirill, der Metropolit von Smolensk und Kaliningrad. Der 62-Jährige, der eine eigene Fernsehsendung hat und zwei Jahrzehnte lang die Außenbeziehungen der Kirche geleitet hatte, führte bereits seit Dezember das Patriarchat übergangsweise. Weitere Kandidaten waren der Metropolit von Kaluga und Borowsk, Kliment, 59, und Filaret, 72, der Metropolit von Minsk.

Zur Wahl des Oberhaupts der russisch-orthodoxen Kirche in der Christi-Erlöser-Kathedrale waren 711 Delegierte aus der ganzen Welt nach Moskau gereist. Fast 200 der Bischöfe, Geistlichen und Laien reisten allein aus der Ukraine an. Auch aus Amerika, Japan und Europa kamen Gesandte zur Abstimmung, unter ihnen vier aus Deutschland.

Nach der Oktoberrevolution 1917 hatten russische Orthodoxe im Ausland eine Exilkirche gegründet, die sogenannte Auslandskirche. Patriarch Alexij gelang es vor zwei Jahren jedoch, die Auslands- mit der Heimatkirche wieder zu vereinen.

Wichtiger Machtfaktor in Russland

Die russisch-orthodoxe Kirche hat weltweit 150 Millionen Gläubige, in Russland sind es nach eigenen Angaben etwa 100 Millionen, zwei Drittel der Bevölkerung. Seit dem Ende des atheistischen Sowjetregimes zu Beginn der neunziger Jahre erlebte die Orthodoxie eine Wiedergeburt.

Desorientiert durch die Wirren der Wende und wirtschaftlich weitgehend verarmt, suchten viele Russen neuen Halt in der Kirche. Im ganzen Land entstanden mit Unterstützung des Staates neue Kirchen, Klöster und Kathedralen, alte wurden wiederaufgebaut. Symbol hierfür ist die Erlöser-Kathedrale in Moskau, das zentrale Gotteshaus der russischen Orthodoxie. Sie wurde während der Stalin-Zeit zerstört und vor wenigen Jahren unter dem Patriarchat von Alexij II. am Ufer der Moskwa originalgetreu errichtet.

Als Träger nationaler Werte ist die orthodoxe Kirche zu einem wichtigen Machtfaktor der russischen Gesellschaft geworden. Kein Präsident kann es sich leisten, zum Patriarchen auf Distanz zu gehen. Die Kirche wiederum sucht und braucht die Hilfe des Staates. So stellte sie sich in den Tschetschenienkriegen auf die Seite Moskaus. Erst vor drei Jahren wurde an Russlands Schulen wieder der Religionsunterricht eingeführt.

Präsident Dmitrij Medwedjew zeigte sich am Wahltag überzeugt, "dass die Entscheidung des Landeskonzils fruchtbar sein wird für die Beziehungen zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und dem Staat". Der Vatikan ist gespannt, ob der neue Patriarch einen engeren Dialog mit der katholischen Kirche erlaubt. AlexijII. hat sich während seines 18-jährigen Patriarchats stets gegen einen Besuch des Papstes in Russland gesträubt.

© SZ vom 28.01.2009/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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