Hannan Salamat, 32, Islam- und Religionswissenschaftlerin aus München
"Ich verstehe die Debatte um einen islamischen Feiertag nicht. Ich bin als Muslimin in Deutschland geboren und aufgewachsen und ich habe einen Feiertag bisher nicht vermisst.
In der Schulzeit war es so, dass Kinder, egal welcher Religion, an ihren Feiertagen daheimbleiben konnten. Wenn man nun einen islamischen Feiertag einführen würde, für welchen Tag würde man sich entscheiden? Zucker- oder Opferfest? Nennt man dann einfach einen willkürlichen Tag 'Islamtag'?
Und was ist mit den anderen Religionen? Wieso gibt es eigentlich noch keinen jüdischen Feiertag? Wer entscheidet, wer bei welcher Religion 'dazugehört' und den Feiertag nehmen darf? Wo setzt man die Grenze? Wäre es nicht sinnvoller, alle religiösen Feiertage abzuschaffen und dafür die Natur zu feiern: Wintersonnenwende am 21. Dezember oder den Frühlingsbeginn am 21. März?
Und stehen nicht eigentlich gerade ganz andere Probleme im Vordergrund? Ich zum Beispiel hätte lieber eine gesicherte Rente und die gleiche Bezahlung wie meine männlichen Arbeitskollegen. Auch Massentierhaltung, Bildungspolitik und Altersarmut sind Themen, über die ich als Muslimin in Deutschland gerne sprechen würde."
Mohammed Belal El-Mogaddedi, 59, ist Vorsitzender der Deutschen Muslim Liga, der ältesten islamischen Vereinigung in Deutschland, die ohne Unterbrechung existiert.
"Der Vorschlag des Innenministers, einen muslimischen Feiertag in Regionen mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil einzuführen, ist nicht neu. Bereits im Jahr 2004 und im Jahr 2010 hatte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele eine ähnliche Anregung gegeben. Damals ergoss sich über ihn - über alle Parteigrenzen hinweg - eine Flut von negativer Kritik. Herrn de Maizière ist es nun ähnlich ergangen. Überraschend ist an dem aktuellen Vorschlag also eigentlich nur, dass er von einem CDU-Mitglied kam.
Die herbe Kritik belegt, dass auch im Jahr 2017 Muslimen und ihrer Religion von Seiten der Politik hauptsächlich mit Abneigung begegnet wird. Ob die vehemente Ablehnung etwas mit den Wahlerfolgen einer Partei zu tun hat, die ein sehr eingeschränktes Weltbild propagiert, vermag ich nicht zu sagen. Aber diese Möglichkeit lässt sich nicht ausschließen und das wäre noch beunruhigender.
Deutschland scheint ein Problem mit dem Islam im öffentlichen Raum zu haben und nicht wenige Politiker weigern sich, die kulturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft zu akzeptieren. Mir würde es schon reichen, wenn ich keinen Urlaubstag opfern müsste, um ein religiöses Fest in Deutschland zu feiern. Gleiches sollte auch anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland zugebilligt werden, wie z.B. dem Judentum. Wir sind leider noch immer weit entfernt davon, eine offene Zivilisation zu werden. Diese unsäglichen Diskussionen um den Platz der Muslime im öffentlichen Raum sind eines hochentwickelten Landes wie Deutschland sehr unwürdig.
Übrigens, als ich vor einigen Jahren zur Weihnachtszeit den Iran bereiste, liefen am 24. Dezember in den staatlichen Fernsehanstalten Sonderprogramme für die Christen des Landes. Also, etwas mehr Gelassenheit und weniger Untergangs-Hysterie täte uns allen in Deutschland wirklich gut."
Maria Zepter, 64, Psychotherapeutin, lebt seit dreißig Jahren in München und ist seit 1980 aktives Mitglied des islamischen Sufiordens Burhaniya.
"Grundsätzlich finde ich de Maizières Vorschlag interessant. Es wäre doch ein schönes Zeichen der interkulturellen Verständigung, wenn Nicht-Muslime sich mit Muslimen über diesen freien Tag freuen könnten. Vielleicht könnte es auch gemeinsame Aktionen und Feiern auf öffentlichen Plätzen geben, sodass man etwas über die Kultur des Anderen lernen kann.
Ich sehe allerdings auch ein paar technische Probleme. Weil sich die muslimischen Feiertage nach dem Mondkalender richten, verschieben sie sich im Sonnenjahr jedes Jahr um zehn bis elf Tage. Das heißt, man könnte nicht einfach ein beliebiges Datum festlegen, an dem Muslime jedes Jahr frei haben.
Gleichzeitig berechnen auch die Muslime selbst die Feiertage nach zwei verschiedenen Methoden. Die meisten machen es auf dieselbe Art und Weise, die schon der Prophet Mohammad angewandt hat: Erst wenn sie den Neumond am Himmel sehen, wissen sie, dass der islamische Fastenmonat Ramadan zu Ende ist und das mehrtätige Fest des Fastenbrechens beginnt. Andere folgen den astronomischen Berechnungen eines Zusammenschlusses verschiedener islamischer Länder. Diese veröffentlichen schon Jahre im Voraus die Daten der Feiertage für die kommenden Jahre. Ich vermute, dass die Muslime in Deutschland es also gar nicht so leicht fänden, sich auf ein Datum für einen muslimischen Feiertag zu einigen. Auch wenn das ein Problem ist, das sich sicherlich lösen ließe.
Einen muslimischen Feiertag einzuführen, würde sicherlich für einigen Zündstoff sorgen - wenn dann zum Beispiel konservative Christen an einem muslimischen Feiertag frei hätten. Ich könnte mir deshalb auch einen Kompromiss vorstellen: Schon jetzt ist es so, dass muslimische Schulkinder drei Tage im Jahr freinehmen dürfen, um islamische Feiertage zu feiern. Für Arbeitnehmer gilt das nicht, sie müssen Urlaub nehmen, um mit ihrer Familie feiern zu können. Toll fände ich deshalb, wenn Muslime einen "flexiblen" Feiertag pro Jahr erhalten würden. Einen Tag anlässlich des Fastenbrechfestes am Ende des Ramadans oder des Opferfestes, dessen Datum sie selbst auswählen und an dem sie bezahlt zu Hause bleiben dürfen."
Ali Zaherinezhad, 29, hat in London und Oxford Arabistik und Islamwissenschaften studiert. Er arbeitet als Islamwissenschaftler für die Uni Hamburg.
"Deutschland ist ein Staat, dessen Bürgerinnen und Bürger vielen verschiedenen Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften angehören. Trotzdem wurden ausschließlich die religiösen Feste der Christen zu staatlichen Feiertagen erklärt. Dem staatlichen Neutralitätsgebot des Grundgesetzes wird das nicht gerecht. Dieses Gebot konsequent umzusetzen, würde bedeuten, dass der Staat entweder gar keine religiösen Feiertage berücksichtigt - oder dass er auch die Feiertage kleinerer Religionsgemeinden umfasst. Dieser Anspruch - den grundlegenden Werten des Grundgesetzes gerecht zu werden - findet jedoch in der öffentlichen Debatte kaum Berücksichtigung. Zumindest dann nicht, wenn es nicht die sogenannten 'besorgten Bürger' sind, die ihre Grundrechte verletzt sehen.
Auch sollte man sich vor Augen halten, wie sehr die Einführung religiöser Feiertage die Integration von Minderheiten fördern würde. Es wäre ein unmissverständliches Zeichen, dass wir als Gesellschaft der gegenseitigen Wertschätzung, Teilhabe und Zugehörigkeit hohe Priorität beimessen.
Vor dem Hintergrund des Ergebnisses der Bundestagswahl und dem weiter anwachsenden Rechtsruck in Teilen der parteipolitischen Landschaft bezweifle ich allerdings, dass die Vermittlung dieser Botschaft gerade hoch im Kurs steht. Das ist nicht nur traurig für die Angehörigen einer bestimmten religiösen Minderheit, sondern geht auch zu Lasten des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts."
Eren Güvercin, 37, arbeitet als freier Journalist und Autor. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Alhambra Gesellschaft und Mitglied im Beirat des Forums für offene Religionspolitik.
"Die Debatte über einen muslimischen Feiertag ist eine Phantomdebatte. In der muslimischen Community war das kein Thema, das wurde erst durch die Aussage des Innenministers angestoßen. Die empörten Reaktionen aus der CSU, aber auch aus anderen politischen Lagern sind vielsagend und zeigen, wie allergisch manche auf die muslimische Realität in Deutschland reagieren.
Wollen Muslime einen muslimischen Feiertag? Ich denke eher nicht. Davor gibt es genug andere, relevantere Themen, die wir angehen müssen. Gerade vor dem Hintergrund der Probleme, mit denen Muslime in ihrem Alltag konfrontiert werden, wirken solche symbolischen Gesten eher wie ein Alibi. Wir brauchen keinen Feiertag, sondern eine Sensibilisierung im alltäglichen Leben, zum Beispiel im Bereich Arbeitssuche, Wohnungssuche und grundsätzlicher institutioneller Diskriminierung.
Debatten über ein nebensächliches Thema wie einen Feiertag bringen uns nicht weiter. Vielmehr arbeiten sich die üblichen Verdächtigen an so einem Thema künstlich ab, um ja nicht die relevanteren und brennenderen Fragen anzugehen."
Ferihan Yeşil, 28, Münchnerin, hat Architektur studiert und wird im kommenden Monat eine Promotion beginnen.
"Jedes Jahr bin ich wieder aufs Neue überrascht, wer zu Festtagen auf einmal alles am Frühstückstisch sitzt. Muslimische Feiertage wie das Opfer- oder Zuckerfest sind für Muslime genauso wichtig wie Weihnachten oder Ostern für Christen. Viele Arbeitgeber, Schulen und Ausbildungsstätten haben bereits ganz selbstverständlich akzeptiert, dass sich Muslime an ihren zwei wichtigsten Feiertagen jeweils einen Tag Urlaub nehmen. Trotzdem kommt es in einigen Fällen zu Auseinandersetzungen mit dem Chef. Manchmal wird dann traurig akzeptiert, dass an dem Tag gearbeitet werden muss und im darauffolgenden Jahr hat sich die Frage erübrigt.
Wenn man bedenkt, dass Staat und Religion in Deutschland eigentlich getrennt sein sollen, stellt sich die Frage, wieso christlichen Feste als offizielle Feiertage gelten. Ist das nicht unfair anderen Religionen gegenüber? Vermutlich schon. Dennoch halte ich das Ausmaß der momentanen Debatte für übertrieben. Muslime haben viel größere Probleme in dieser Gesellschaft, die sie Tag für Tag betreffen.
Liest man die Kommentare zu de Maizières Vorschlag, wird klar, dass viele Menschen ein Bild von Muslimen im Kopf haben, die immer nur fordern und den Staat islamisieren wollen. Das ist unbegründet. Mir ist auch nicht bekannt, dass es irgendwelche großen Demonstrationen oder Ähnliches von Muslimen zu diesem Anlass gegeben hätte. Ich persönlich würde mich über einen Feiertag freuen, kann aber auch damit leben, wenn alles beim Alten bleibt."