Das Video dauert 28 Sekunden, eine apathisch wirkende Frau beim Sex mit zwei Männern, sie sagt immer wieder "Nein" oder "Hör auf". Als es die Berliner Staatsanwältin Corinna Gögge zum ersten Mal sah, erkannte sie eine mögliche Straftat. Gögge verfolgt seit Jahren Sexualverbrechen, sie hat Videos von Frauen zu sehen bekommen, die durch K.o.-Tropfen willenlos gemacht und dann misshandelt wurden, die man wie leblose Puppen über Betten geschleudert hat.
Gögge ordnete eine Hausdurchsuchung bei den Männern an, ließ die Frau vernehmen und einen Toxikologen prüfen, welche Drogen der Frau eingeflößt worden sein könnten - juristische Routine. Dass der Fall in all seinen Details dennoch seit Monaten in der Öffentlichkeit diskutiert wird, liegt am Namen der Frau aus dem Video: Gina-Lisa Lohfink, 29, bekannt geworden durch die Castingshow "Germany's next Top Model", Dauergast in den Boulevardmedien.
Und es liegt daran, dass die Wahrheit oft länger ist als 28 Sekunden. Genauer gesagt: zehn Minuten.
"Brauchst du Geld, 500 Euro und dann Bild-Zeitung?"
So lange sind die Filmaufnahmen tatsächlich, sie wurden in elf Teilen auf den Handys der Männer gefunden. Und auf denen sind noch ganz andere Dinge zu sehen, sagt die Staatsanwältin. Lohfink, wie sie tanzt, singt, knutscht, lacht, am Computer sitzt, ihre Kleider ordnet und lächelnd posiert. Wie sie in die Kamera schaut, die Männer zur Rede stellt, "Mach weg" sagt oder: "Brauchst du Geld, 500 Euro und dann Bild-Zeitung?"
Die Staatsanwältin hat die Männer vor Gericht gebracht, weil sie Lohfink filmten und eine Sequenz gegen den Willen der Frau ins Netz stellten. Das Verfahren wegen Vergewaltigung dagegen hat sie eingestellt, und Lohfink selbst erhielt einen Strafbefehl wegen falscher Verdächtigung. Weil sie eine sexuelle Gewalttat angezeigt habe, die keine war.
Es ist der letzte Verhandlungstag in einem Prozess, der mitten in die Debatte um die Verschärfung des Sexualstrafrechts im Frühsommer fiel. Lohfinks Verteidiger Burkhard Benecken sagt deswegen nur "der Fall" dazu. Weil er seiner Ansicht nach zum Symbol dafür geworden sei, was Frauen im deutschen Rechtsstaat erleiden, wenn sie eine Vergewaltigung anzeigen wollen. Dass nicht ihnen geglaubt werde, sondern den Tätern. So oder so - der letzte Prozesstag am Montag beginnt wie auch die vergangenen drei Termine. Vor dem Amtsgericht wird protestiert, Frauen halten Transparente hoch. Gina-Lisa Lohfink kommt mit ihrem Anwalt und Manager aus dem Taxi und tritt vor die Presse.
Wie es ihr heute gehe, wird sie gefragt. Schlecht, sagt Lohfink, sie finde es unfair, dass sie hier zur Täterin gemacht werde. "Ich könnte mir auch etwas anderes vorstellen, als hier zu sein."
Ihr Verteidiger hat zahlreiche Anträge gestellt, unter anderem will er eine junge Frau als Zeugin hören, die eine Beziehung mit dem mehrfach vorbestraften Sebastian C. hatte, einem der beiden jungen Männer aus dem Video. Er war VIP-Betreuer in einem Berliner Club, seine Ex-Freundin erzählt von Gewalt, Drogen und nicht einvernehmlichem Sex während ihrer Beziehung, Sebastian C. sei "ein Tier" gewesen. Als sie den Videoschnipsel von Lohfink sah, der überall im Netz kursierte, meldete sie sich bei Lohfinks Management.
Eine andere junge Frau war im Juni 2012 in jenem Berliner Club, in dem Lohfink mit den beiden Männern feierte, ehe sie mit ihnen fast zwölf Stunden in einer Wohnung am Kurfürstendamm verbrachte. Die Zeugin kann sich noch gut an die Begegnung mit Lohfink erinnern, denn sie ist aus Süddeutschland angereist, um einmal in Berlin Party zu machen. "Wenn man dann das Glück hat, in der Disco Frau Lohfink zu treffen, ist das für ein Dorfkind schon ein Highlight." Sie habe Lohfink um ein Foto gebeten, dabei sei sie ihr betrunken vorgekommen. Ob sie wirkte, als sei sie unter Drogen oder stark alkoholisiert, will die Staatsanwältin wissen. "Nein, nur ein bisschen torkelig", sagt die Frau.
Der toxikologische Sachverständige, der alle Filmdateien gesehen hat, sagt dann auch, dass Lohfink "mit hoher Wahrscheinlichkeit" keine Substanzen verabreicht worden seien, die sie willenlos gemacht hätten. Sie sei wach, spreche, reagiere, tippe am Computer, alles Dinge, die man nicht tun kann, wenn man K.o.-Tropfen im Blut hat. Sie habe gar ihre damalige Managerin angerufen und gesagt, sie sei in der Wohnung von C. und esse Pizza.
Vor allem habe Lohfink der Polizei erzählt, wie ihr Stück für Stück die Erinnerung wiedergekommen sei, als sie die 28 Sekunden im Netz sah; danach zeigte sie eine Vergewaltigung an, schilderte, sie sei festgehalten worden, habe geweint und Schmerzen erlitten. Unmöglich, sagt der Gutachter. Es gehöre zur Wirkung von K.o.-Tropfen, dass man sich an nichts erinnern könne, weil das Bewusstsein nicht mehr normal funktioniere: "Als würde man eine Videokamera laufen lassen, in der kein Film ist."
"Wir sind auf wahre Angaben angewiesen", sagt die Staatsanwältin. Wenn jemand wissentlich die Unwahrheit sage, könne die Justiz nicht arbeiten, und es würden womöglich Unschuldige verurteilt. Lohfink habe bewusst ein Verbrechen erfunden, das nicht stattfand. Weil sie, als sie von den Videos im Netz erfuhr, gemerkt habe, dass sie da "nicht unbeschädigt herauskomme". Dem widerspricht die Verteidigung vehement. Lohfink habe bei der Polizei nie dezidiert von Vergewaltigung oder K.o.-Tropfen gesprochen, sondern lediglich Sex geschildert, den sie nicht wollte. "Wenn das hier Schule macht, dann Gute Nacht für alle Frauen in Deutschland."
Lohfink schwieg vor Gericht
Die Richterin aber sieht es wie die Staatsanwältin und verurteilt Lohfink zu einer Geldstrafe von 20 000 Euro. Lohfinks Behauptungen seien unwahr, was man auf den Videos sehe. Die bezeichnet sie als "etwas Besonderes": In Vergewaltigungsprozessen sei man ja normalerweise auf die Aussagen der Opfer und Täter angewiesen, doch hier gebe es objektive Bilder. Zur Anklagebank gewandt, sagt sie, sie hätte gerne eine Aussage von Lohfink gehabt. Die aber schwieg vor Gericht. Ihre Version erzählte sie lieber der Presse. In jeder Prozesspause trat Lohfink vor die Kameras, selbst auf dem Weg zum Klo gab sie Interviews und ließ sich von Aktivistinnen beklatschen. Als sei ein Gerichtssaal eine andere Form von Frühstücksfernsehen.
Kurz nach der Urteilsverkündung läuft Lohfink aus dem Saal, gefolgt von Sympathisanten aus dem Zuschauerraum, die vorher noch "Buh!" in den Saal gerufen hatten. Draußen warten die Kameras, noch mehr Öffentlichkeit, Lohfinks Anwalt nennt das Verfahren "einen riesengroßen Erfolg". Demnächst geht Lohfink Medienberichten zufolge ins RTL-Dschungelcamp, für angeblich 150 000 Euro Gage.