Prozess:Hungertod eines Behinderten - Anklage fordert Bewährung für Bruder

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Bis auf die Knochen magert ein behinderter Mann in einer Wohnung in Salzgitter ab und stirbt. Die Staatsanwaltschaft fordert nun eine Bewährungsstrafe für seinen Bruder, weil er sich nicht genug gekümmert haben soll.

Das Zimmer verwahrlost, die Kniegelenke des Mannes versteift vom vielen Sitzen, sein Gewicht gesunken auf 28,6 Kilogramm. Bei einer Körpergröße von 1,83 Metern. "Es war nichts mehr an ihm dran", sagt der Polizist, der den Toten im Februar 2012 in einer Wohnung in Salzgitter fand. Verhungert. In Braunschweig muss sich derzeit der Bruder und gesetzliche Betreuer des geistig behinderten Mannes vor dem Landgericht verantworten. Der Vorwurf: Aussetzung mit Todesfolge. Bei dem Straftatbestand geht es um Delikte, bei denen hilflose Menschen im Stich gelassen werden.

Der 48 Jahre alte Angeklagte soll sich nicht ausreichend um seinen acht Jahre älteren Bruder gekümmert haben, sodass dieser bis auf die Knochen abmagerte und starb. Seit 2003 war der jüngere Bruder von Amts wegen für den Behinderten verantwortlich.

Im Prozess hat Staatsanwältin Bianca Schöpper für den Bruder des Opfers nun eine eineinhalbjährige Freiheitsstrafe auf Bewährung gefordert. "Es ist von einem grob fahrlässigen Handeln des Angeklagten auszugehen", sagte die Anwältin am Dienstag im Landgericht Braunschweig. Die Verteidigung forderte einen Freispruch. Am Donnerstag soll das Urteil gesprochen werden.

Wie lange genau der Mann an Unterernährung gelitten hatte - ob Wochen oder Monate - konnte ein Gutachter nicht eindeutig feststellen. Reste von Nahrung und Flüssigkeit, die bei der Obduktion im Verdauungstrakt der Leiche gefunden wurden, wiesen dem Experten zufolge darauf hin, dass der Mann über einen langen Zeitraum zu wenig Essen zu sich genommen hatte.

Bis zu seinem Tod lebte der 56-Jährige in der Wohnung seiner Mutter, die laut einem Bericht der Salzgitter Zeitung ursprünglich mit angeklagt hätte werden sollen. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt - wegen Schuldunfähigkeit. War der Angeklagte davon ausgegangen, dass sich seine Mutter um den Bruder kümmerte?

Vor Gericht beschrieb der Mann der Lokalzeitung zufolge sich selbst als jemanden, der "Verantwortung für die Eltern, die Pflege des Elternhauses und den pflegebedürftigen Bruder übernommen hatte." Fest steht, dass er die Wohnung von Mutter und Bruder zuletzt vier Wochen vor dem Hungertod des Bruders besucht hatte. Er beteuerte, dass ihm dessen Zustand nicht aufgefallen sei.

Nach Paragraf 221 des Strafgesetzbuchs muss der Angeklagte im Falle eines Schuldspruchs wegen Aussetzung mit Todesfolge für mindestens drei Jahre ins Gefängnis. Sollte es sich um einen minder schweren Fall handeln, sieht das Gesetz eine Gefängnisstrafe zwischen einem und zehn Jahren vor.

© Süddeutsche.de/dpa/leja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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