Prozess gegen Brustimplantate-Hersteller:Lügen als Teil der Firmenkultur

Lesezeit: 3 min

Jean-Claude Mas, Gründer Firma Poly Implants Prothèse, wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. (Foto: Philippe Laurenson/Reuters)

Gefälschte Statistiken über gerissene Implantate, hektisch verstecktes Industrie-Silicon: Die französische Firma PIP hat Hunderttausende falsche Billig-Brustimplantate hergestellt. Nutzerinnen weltweit klagen über Schmerzen und Entzündungen. Jetzt belasten ehemalige Mitarbeiter ihren Chef schwer.

Von Stefan Ulrich, Paris

Wenn die Prüfer des TÜV abrückten, ließen leitende Angestellte der Brustimplantate-Firma PIP im südfranzösischen La Seyne-sur-Mer die Champagnerkorken knallen. Ihre Betrugsmaschine hatte wieder funktioniert. Die Mitarbeiter von Unternehmenschef Jean-Claude Mas hatten vor dem - angekündigten - Besuch der Kontrolleure Computerdaten gelöscht, Statistiken über gerissene Implantate gefälscht, günstiges Industrie-Silicon versteckt und das vorgeschriebene hochwertige Nusil-Gel in den Produktionsprozess eingebracht.

Alles sollte so aussehen, als ob PIP nur zugelassene Brust-Prothesen herstellte. Dafür wurden Behälter mit verdächtigem Silicon sogar in einem Trafo-Häuschen verborgen oder in einen Lastwagen gepackt, der vor den Kontrolleuren davonfuhr.

So ging das offenbar über viele Jahre, in denen PIP illegal Hunderttausende Billig-Prothesen herstellte und an Frauen in aller Welt verkaufte. Auch schätzungsweise 5000 Deutsche sollen unter den Opfern sein. 2010 war der Schwindel aufgeflogen. Ein früherer Qualitäts-Manager der Firma sagte jetzt im Strafprozess gegen die Verantwortlichen, die Lüge sei Teil der Firmenkultur gewesen.

Seit April bemüht sich ein Gericht in Marseille, Mas und vier seiner leitenden Angestellten zur Rechenschaft zu ziehen. Diesen Dienstag wird die Staatsanwaltschaft ihre Anträge stellen. Den Angeklagten droht wegen schwerer Täuschung und Betrug bis zu fünf Jahren Haft. Viele der 6300 Frauen, die die Billig-Implantate eingesetzt bekamen und nun als Nebenklägerinnen auftreten, finden das wenig. Eine 46-jährige Französin meinte: "Jean-Claude Mas hat mein Leben ruiniert. Ich wünschte, dass er dazu verurteilt würde, verrottete Implantate zu tragen, bis sie in ihm explodieren."

Matratzen-Füllung in Brüsten

Mas und seine Firma Poly Implant Prothèse (PIP) hatten das Industrie-Silicon, mit dem sonst beispielsweise Matratzen gefüllt werden, benutzt, weil es zehn Mal billiger ist als das für Implantate zugelassene Nusil-Gel. Der Firmenchef räumte dies in der mündlichen Verhandlung auch ein. Er behauptete jedoch, seine Produkte seien qualitativ einwandfrei und keineswegs gesundheitsgefährlich gewesen. Auch bestritt er, die systematische Täuschung des TÜV Rheinland, der die Zertifizierungsprüfungen vornahm, angeordnet zu haben. Dafür seien seine Mitarbeiter verantwortlich gewesen. Im Ermittlungsverfahren hatte er die Manipulationen dagegen noch gestanden.

Mehrere ehemalige Angestellte belasteten Mas nun jedoch schwer. Ein junger Ingenieur berichtete davon, wie er 2004 kündigen wollte, weil er den Betrug nicht mehr ertragen konnte. Mas habe ihm daraufhin prophezeit, er werde als Pizza-Verkäufer enden - und ihm dann das Gehalt erhöht. 2006 ging der Ingenieur dann aber doch. "Gewissensbisse können einen auffressen", sagte er jetzt vor Gericht.

Andere Angestellte waren weniger skrupulös. Die meisten vertrauten wohl darauf, dass ihre Billig-Implantate nicht schädlich seien. Vier der fünf Angeklagten beteuerten, sie hätten keinerlei Bedenken wegen der Qualität der Silicon-Kissen gehabt. Eine der Nebenklägerinnen hielt den Angeklagten daraufhin vor: "Kann mir auch nur einer von Ihnen in die Augen schauen und versichern, dass ich in den kommenden zehn Jahren kein Risiko trage?" Auf das folgende Schweigen hin sagte die Nebenklägerin: "Offensichtlich nicht."

Das Gericht verlas etliche Gutachten, wonach es keine Hinweise darauf gibt, dass die PIP-Prothesen krebserregend sind. Allerdings scheinen sie deutlich häufiger als zugelassene Implantate zu reißen und Silicon in den Körper austreten zu lassen. Die französische Gesundheitsbehörde ANSM teilte mit, ein Viertel der Billig-Prothesen, die sich Französinnen vorsichtshalber wieder herausoperieren ließen, seien defekt gewesen. Die Behörde berichtet von 4100 Rissen und von 2700 Frauen, die an Entzündungen litten.

Etliche Frauen sagten in und außerhalb des Strafverfahrens, wegen geplatzter PIP-Prothesen hätten sie nun überall im Körper Silicon-Teile. Sie litten an Schmerzen, könnten keinen Sport mehr machen oder nicht mehr richtig schlafen. Viele andere haben große Angst um ihre Gesundheit und sagen, ihr Vertrauen in die Kontrollbehörden sei zerstört. Und manche werfen dem TÜV Rheinland und den französischen Behörden vor, den Implantate-Hersteller nicht sorgfältig kontrolliert zu haben.

Da der Hauptangeklagte Mas angibt, pleite zu sein, verlangen sie nun Schadenersatz und Schmerzensgeld vom TÜV. Dessen Anwälte halten allerdings dagegen, der Überwachungsverein habe sich an die geltenden Regeln gehalten. Ihm sei kein Vorwurf zu machen. Vielmehr sei der TÜV selbst getäuscht worden und damit ein Opfer.

Wie auch immer der Mega-Prozess in Marseille ausgeht, eines erscheint sicher: Der Fall ist damit nicht abgeschlossen. In vielen Ländern dürfte noch jahrelang zwischen Opfern, Implantat-Händlern, Behörden, Kontrolleuren und Versicherungen um Entschädigungen gerungen werden.

© SZ vom 13.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: