Posse um Kuhglocken in der Schweiz:Muh zur Lücke

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Presslufthammer oder Halskette? In der Schweiz streiten Freunde und Gegner der Kuhglocken mit kuriosen Vergleichen. (Foto: dpa)

Braucht das Rind eine Glocke? Ja, sagen Schweizer Bauern. Nein, erwidern Tierschützer.

Von Charlotte Theile, Zürich

Wer in den Schweizer Bergen Kühe sieht, hat zunächst einmal nicht das Gefühl, es mit gequälten Kreaturen zu tun zu haben. Meist streunen sie auf weitläufigen Wiesen herum, gelegentlich bahnen sich Wanderer einen Weg durch die Herden. Irgendwo steht ein Wassertrog, ab und zu bimmelt es.

Doch genau dieses Bimmeln mache die Tiere physisch und psychisch krank, glauben Tierschützer. Seit Monaten schon kämpfen sie gegen die Glocken, die am Hals der Tiere baumeln und für viele der "Soundtrack der Alpen" (Schweiz-Tourismus) sind. Die Glocken-Gegner stützen sich auf eine Studie der Universität ETH Zürich, die im Juni 2015 offiziell veröffentlicht wurde, aber schon im Herbst 2014 für Aufsehen sorgte.

5,5 Kilogramm schwer und 100 Dezibel laut?

"Beeinflusst das Tragen einer Glocke das Verhalten und die Herzschlagvariabilität von Kühen auf der Weide?", hatten die Wissenschaftler gefragt - und zumindest eine gewisse Korrelation festgestellt. Während der drei Tage, die die Rinder mit 5,5 Kilogramm schweren Glocken behängt wurden, beobachteten die Forscher, dass die Tiere kürzer wiederkäuten, fraßen und im Gras lagen als ohne Glocken. Auf die Herzfrequenz hatten die Glocken indes keinen Einfluss.

"Eine langfristig verkürzte Liege- und Fressdauer wäre mit einem verminderten Tierwohl und einer möglicherweise reduzierten Leistung verbunden", schrieben die Forscher, schränkten jedoch ein: Ob es nun am Gewicht oder am Ton der Glocken gelegen habe und ob sich die Tiere bei längerer Testdauer an die Glocken gewöhnten, könne man nicht sagen.

Die Bauern toben: Die Studie der Uni sei weltfremd

In die Schweizer Medien schaffte es die Studie dennoch: Die Glocken seien unantastbar, wetterten Zeitungskommentatoren, wer sie verbieten wolle, nehme dem Land ein Kulturgut. Die Leiterin der Studie, Edna Hillmann, verwies auf den Schallpegel, etwa 100 Dezibel. Der Krach entstehe in unmittelbarer Nähe des Kuh-Ohrs. Dadurch könne es zu Hörschäden kommen, außerdem seien die Kommunikationsmöglichkeiten der Tiere eingeschränkt. Kühe blöken sich schließlich zu.

Und der Bauer, der seine Tiere sucht? Der könne, so die Studienleiterin, heutzutage doch mit GPS arbeiten.

Der Aufschrei der Landwirte ließ nicht lange auf sich warten. Weltfremd seien die Vorschläge aus Zürich, schimpften sie. Die Glocken, mit denen die Studie durchgeführt worden war, seien viel schwerer als das, was üblicherweise an einem Kuhhals hänge. Wer als Bauer täglich mit den Tieren zu tun habe, beobachte keine Verhaltensänderung.

Nach anfänglicher Aufregung beruhigten sich die Streithähne zunächst wieder. Universität und Bauern vereinbarten, das Agrarwissenschaftsstudium künftig etwas praxisnäher zu gestalten. Doch im Netz ging der Streit erst richtig los.

"Schon fünf Minuten können das Gehör schädigen", glaubt Kuhglocken-Kritikerin Nancy Holten. (Foto: dpa)

"Schon fünf Minuten können das Gehör schädigen"

Nancy Holten aus dem Kanton Aargau gründete Anfang des Jahres die Facebook-Gruppe "Kuhglocken out". Die Traditionalisten konterten mit der Seite "Pro Kuhglocken". Seither herrscht in der Schweiz Social-Media-Krieg.

Holten, 40, gebürtige Holländerin und Veganerin, hat auch schon Reporter der Schweizer SonntagsZeitung zu sich nach Hause eingeladen. Dort präsentierte sie ihre Klangschalen und Energie-Kristalle, beteuerte, sie wollte "nur Frieden" und das Beste für die Tiere und wehrte sich gegen die Formulierung, sie wolle Kuhglocken verbieten lassen.

"Ich will nichts verbieten. Und ich kämpfe nicht" erklärte Holten. Sie setze sich vielmehr für etwas ein. Das sei friedlicher. Auch "von der Energie her." Selbst wenn die Kühe die Glocken nur zweimal im Jahr beim Auf- und Abstieg zu Berge anhätten, sei das zu viel, erklärte sie: "Schon fünf Minuten können das Gehör schädigen."

Die 40-Jährige gibt Interviews wie am Fließband. Der Kampf gegen Kuhglocken ist nicht ihr einziger. Auch ihren Eierkonsum sollen die Menschen überdenken, fordert sie. Und Zirkustiere freilassen. Und das Kirchengeläut am frühen Morgen, das findet sie schlicht "frech".

Auf der anderen Seite steht Lucas Berger, Küchenchef in Zürich und Gründer der Facebook-Gruppe "Pro Kuhglocke". Er will die Tradition schützen - und vergleicht die Glocken nicht mit einem Presslufthammer, sondern mit einer Halskette. Auf eine gewisse Art sei er Nancy Holten sogar dankbar, sagte er der Landwirtschafts-Publikation Schweizer Bauer: "Es ist schön, dass man in der heutigen Zeit wieder über die Schweiz, ihre Kultur und ihre Traditionen spricht. Es hat schon lange nicht mehr eine so intensive Diskussion stattgefunden."

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