Polizei:Was Blutspuren verraten

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Nicht ganz zufällig erinnert die Blutspuren an die Klecksbilder von Jackson Pollock. (Foto: Hannes Jung)

Kracht der Hammer auf den Kopf, spritzt das Blut verräterisch. Wie "Blood Spatter Analysten" der Polizei helfen, Verbrechen aufzuklären.

Von Ronen Steinke

Am 4. Juli 1954 erreichte die Polizei im US-Bundesstaat Ohio ein Anruf. Der junge Chirurg Sam Sheppard erklärte, ein Einbrecher habe seine Frau Marilyn im Bett erschlagen. Die Ermittler hörten sich das an, entwickelten aber eine andere Theorie. Sie fanden am Tatort ein blutiges Kopfkissen, auf dem sie den Abdruck einer chirurgischen Zange zu erkennen meinten. Damit, befanden sie, habe der Arzt seine Frau ermordet und die blutverschmierte Zange aufs Kissen gelegt.

Sheppard wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu Unrecht, wie sich zehn Jahre später in einem Wiederaufnahmeverfahren herausstellte. Der vermeintliche Abdruck einer Zange war eine Falte im Kissen, in der Blut zusammengelaufen war.

Diese Formen und Muster können bizarr sein, sagt Nina Hagner. Seltsam gebogene Rinnsale, krumme Spinnenbeine, ausladende Fächer, "man muss lange herumprobieren mit Stofffetzen und Blut, bis einem die Gesetzmäßigkeiten dahinter klar werden". Und bis der wahre Hergang eines Mordes sich herausfinden lässt. Hätte sich jemand wie Nina Hagner damals die Blutspritzer im Bett von Marilyn Sheppard angeschaut, der Justizirrtum wäre wohl nicht passiert. Die 28-jährige Kriminalkommissarin ist im Landeskriminalamt Berlin Spezialistin für Blutspuren.

In ihrer Stimme liegt Zuneigung, wenn sie die roten Tröpfchen beschreibt, die niemals rund sind, sondern immer gewellt, geriffelt, gedehnt, von Fliehkräften gebeutelt. Mit einer Spitze, einem "Köpfchen", das anzeigt, in welche Richtung das Blut geflogen ist. Als zum Beispiel der Hammer auf den Schädel traf. "Es ist Geschmackssache", sagt Nina Hagner. "Man wird oft komisch angeschaut." Aber sie finde die Blutspuren wunderschön. Die Ermittlerin hat, bevor sie ihre Laufbahn beim LKA einschlug, Kunst studiert. Vielleicht redet sie deshalb anders als die meisten ihrer Kollegen in der eher akribisch-geschäftsmäßigen Welt der Forensik.

Blutspuranalysen sind in der Kriminalistik seit einer Weile im Kommen. In Fachzeitschriften wächst das Interesse. Man könnte auch sagen: Polizeibehörden beginnen, ernst zu nehmen, was lange eher als eine Domäne von Sonderlingen in den dunkleren Ecken der Kriminallabore galt. Die US-Fernsehserie "Dexter" hat dem Berufsbild eine gewisse Bekanntheit verschafft. Die Sendung sei gut, sagt Nina Hagner, die Macher seien von Profis beraten worden. Sie hat alle acht Staffeln geguckt.

Der "Dexter"-Protagonist arbeitet als Blood Spatter Analyst der Polizei in Miami. Dass er sich gleichzeitig als Serienmörder betätigt, ist freilich ein Indiz für das anhaltend mäßige Image der jungen Disziplin.

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