Platzmangel in Norwegens Gefängnissen:Hinter schwedischen Gardinen

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Ins Gefängnis will keiner gerne. In Norwegen hingegen gibt es davor sogar Warteschlangen. (Foto: dpa)

Wer in Norwegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, darf sich erst mal in die Schlange stellen. Die Zellen im Königreich sind seit Jahren überfüllt. Nun möchte Norwegen in Schweden Gefängniszellen mieten. Denn das Nachbarland hat ein ganz anderes Problem: rätselhaften Häftlingsschwund.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Man kann es als Zeichen besonderer Zivilisiertheit werten: Wer in Norwegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, darf sich erst mal in die Schlange stellen. Die Zellen im Königreich sind seit Jahren derart überfüllt, dass Verurteilte manchmal Monate auf ihre Strafe warten müssen, jedenfalls, wenn ihr Verbrechen nicht allzu schwer war. 1200 künftige Häftlinge stehen derzeit für eine freie Zelle an. Bald könnten sie eine bekommen - im Nachbarland, hinter original schwedischen Gardinen.

Ende des Jahres hat Justizminister Anders Anundsen von der rechtspopulistischen Fortschrittspartei seiner Kollegin in Stockholm einen Brief geschrieben. Die "Warteschlange vor den Gefängnissen" sei zuletzt immer länger geworden, erklärte Anundsen. Er habe sich daher erkundigt, ob die "guten Nachbarn im Osten" helfen könnten, das Problem schnell zu lösen. Norwegen will Zellen in Schweden mieten, bis es selber mehr Gefängnisplätze geschaffen hat.

Schließlich musste die norwegische Polizei Inhaftierte bereits laufen lassen, weil sie nicht mehr wusste, wohin mit ihnen. Das liegt nicht daran, dass die Norweger besonders kriminell sind. Der Anteil der Gefangenen an der Gesamtbevölkerung ist nur leicht höher als in Schweden und geringer als in Deutschland. Der Staat hat es vielmehr seit Jahren versäumt, sich um das stärker werdende Problem zu kümmern.

Schweden hat wiederum ganz andere Probleme. Es hat nicht genug Häftlinge für seine Gefängnisse. Die Zahl der Insassen sinke seit zehn Jahren, erklärt der Leiter der schwedischen Gefängnisbehörde, Nils Öberg. Seit 2011 gebe es gar einen heftigen Abfall von jährlich sechs Prozent. "Niemand kann das erklären", sagt Öberg. Es sei auch kein Beleg dafür, dass die Zahl der tatsächlichen Straftaten abnehme.

Auch Belgien hat Häftlinge ausgelagert

Die Schweden haben allenfalls Theorien zum Häftlingsschwund: Ein Grund könnten die weniger harten Strafen für Drogendelikte sein, seit ein Urteil des Obersten Gerichtshofes den Richtern verbietet, das Strafmaß allein nach der Menge der Drogen zu richten. Eine andere Theorie ist laut Öberg, dass Schweden zuletzt eine große Anzahl neuer, noch unerfahrener Polizisten eingestellt hat, die noch ineffizient arbeiten. So oder so: Man habe Platz im Überfluss. 2013 wurden bereits fünf Anstalten geschlossen.

Trotzdem hat Schwedens Justizministerin Beatrice Ask auf den Brief aus Oslo bisher nicht geantwortet. Wie die Chancen für eine Kooperation stehen, könne man noch nicht sagen, erklärte ihr Sprecher. Es stehe nichts fest, heißt es auch aus Oslo. Man müsse noch aushandeln, wie viele Plätze Norwegen erhalten könne, und für welche Häftlinge.

Norwegen ist nicht als erstes Land auf die Idee gekommen, Häftlinge auszulagern. Die belgische Regierung hat 2009 ein niederländisches Gefängnis gemietet, weil die eigenen Anstalten überfüllt waren. Man werde sich dieses Modell ansehen und davon lernen, kündigte Anundsen an. Einen Punkt hob er dabei besonders hervor: Die Belgier setzen in dem gemieteten Gefängnis holländische Wärter ein, aber einen belgischen Direktor. Ein schwedischer Knast unter norwegischer Leitung, das würde Anundsen sicher gefallen.

© SZ vom 09.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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