Philippinische Wanderarbeiterinnen:Biete Heimreise, verlange Sex

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Philippiner demonstrieren in Manila gegen "Sex-for-Fly". So nennen sie die Praxis der Beamten, Heimflug-Tickets im Ausland nur gegen Sex auszustellen. (Foto: Arne Perras)

Viele mittellose Philippiner gehen als Wanderarbeiter ins Ausland, allein in Saudi-Arabien sollen fast zwei Millionen von ihnen beschäftigt sein. Allzu oft werden sie an ihren Arbeitsplätzen fern der Heimat ausgebeutet und missbraucht. Drei Frauen erzählen von ihrem Schicksal als moderne Sklaven.

Von Arne Perras, Manila

Kürzlich waren die drei Frauen auf der Titelseite einer großen philippinischen Zeitung abgebildet. Eingehüllt in dunkle Tücher sahen sie aus wie Afghaninnen unter einer Burka. Nicht nur ihre Gesichter, auch ihre wahren Namen verbergen sie vor der Öffentlichkeit. Sie nennen sich stattdessen Michelle, Angel und Annalisa.

Die drei vermummten Frauen von den Philippinen wollen nicht mehr ertragen, was unerträglich ist. Sie reden jetzt über ihre Not, den Missbrauch. Und sie nennen Namen. Das ist mutig - aber vielleicht auch gefährlich. Jedenfalls wirken sie nervös, seitdem sie beschlossen haben, mit ihren Geschichten herauszurücken. Wer sie treffen will, muss immer wieder warten, mal hier, mal dort, Geduldsproben in Manila. Schließlich wählen sie eine Sushi-Bar in der Nähe des Hafens. Dort erscheinen sie an einem Nachmittag mit großen Sonnenbrillen im Gesicht und ohne Schleier. So lasse es sich besser reden, sagen sie. Aber um Himmels Willen keine Fotos.

Michelle, Annalisa, Angel: Diese Namen stehen für einen Skandal, in dem sich das ganze Elend der philippinischen Wanderarbeiter bündelt. Er wirft ein Schlaglicht auf die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse im Nahen Osten, die Züge von Sklaverei tragen.

Mittellose Philippiner hoffen dort zu Geld zu kommen. Allein in Saudi-Arabien sollen es schon fast zwei Millionen sein. Aber das ist noch nicht alles. Denn im Zentrum der jüngsten Affäre stehen Beamte des philippinischen Staates selbst. Sie sind vor Ort in den Botschaften beschäftigt, zum Beispiel in Riad, Saudi-Arabien. Und sie stehen im Verdacht, das Elend ihrer Landsleute noch zu verschlimmern.

"Ich will Gerechtigkeit"

Überall auf der Welt haben Botschaften die Aufgabe, ihren Bürgern im Ausland zur Seite zu stehen. Was aber, wenn Beamte die Not ihrer Landsleute ausnutzen? Wenn sie diese Menschen, die Hilfe suchen, in noch tieferes Unglück stürzen? Die Regierung in Manila muss nun Vorwürfe dieser Art gegen Beamte im Auslandsdienst untersuchen. Der Verdacht wiegt so schwer, dass Außenminister Albert del Rosario kürzlich erklärte, sein Ministerium müsse aufklären, ob sich im Dunstkreis der Botschaften regelrechte Sex-Ringe gebildet haben, die den Missbrauch philippinischer Frauen organisieren.

Michelle war die erste, die sich traute, gegen einen entsandten Beamten des Arbeitsministeriums auszusagen. Sie war im Frühjahr von ihrem saudischen Arbeitgeber geflohen, weil sie mit ihm in Streit über ihren Vertrag geraten war. Dies geschieht häufig, und meist suchen die Frauen dann Hilfe in einem der Auffangzentren, die Manila für solche Fälle eingerichtet hat. Der Beamte, der ihr helfen sollte, habe jedoch Gegenleistungen verlangt, erzählt Michelle. So wollte er sie im Tausch gegen den Heimflug an einen Ägypter vermitteln. Schließlich habe der Beamte auch noch versucht, sie zum Sex in seinem Büro zu nötigen. Michelle, eine kräftige Frau Ende Dreißig, schüttelt sich, als davon erzählt. "Ich will Gerechtigkeit", sagt sie.

"Sex-for-Fly" nennen sie den Skandal. Sexuelle Dienste im Tausch für Rückflugtickets in die Heimat. Dass es sich nicht um Einzelfälle handeln dürfte, legt die Entscheidung Manilas nahe, gleich zwölf Botschafter und einen Konsul aus den arabischen Ländern zu Gesprächen nach Hause zu beordern. Zwar stehen diese nicht selbst unter Verdacht. Aber die Vorwürfe betreffen nicht nur mutmaßlichen Missbrauch in Riad, sondern auch in Jordanien, Kuwait und Syrien. Erhoben wurden sie erstmals von einem Abgeordneten am 18. Juni, der unter anderem davon berichtete, dass ein Beamter philippinische Frauen für 1000 Dollar die Nacht angeboten habe.

Inzwischen hat Manila auch ein Untersuchungsteam in den Nahen Osten entsandt, um die Missstände aufzuklären. Der Skandal wühlt die Menschen auf den Philippinen auf. Nahezu jede Familie hier hat Angehörige, die im Ausland arbeiten. Der Staat hat es zur Politik erhoben, Bürger als Arbeitskräfte zu exportieren. Darin ist Manila Weltmeister. Jeder Achte sucht sein Glück jenseits der Grenzen. Seeleute, Bauarbeiter, Hausangestellte. 12 Millionen sind es weltweit, und bis vor kurzem zählten auch Michelle, Annalisa und Angel dazu. Politiker preisen ihre Wanderarbeiter als "moderne Helden", jeder einzelne unterstützt mit seinem Einkommen bis zu fünf Verwandte zu Hause. Die Gesellschaft kommt ohne sie gar nicht mehr aus.

Die Menschen haben sich an das System gewöhnt, von manchen wird es als Armutszeugnis der Regierung angeprangert, aber geändert hat sich bislang nichts. Ob Präsident Benigno Aquino, der als Reformer gilt, die Verhältnisse verbessern kann, ist nicht gewiss. Er hat es versprochen, doch nun muss er Licht in die Affäre bringen, um glaubwürdig zu bleiben. Schafft er das? Die Philippiner haben oft erlebt, dass Verfehlungen des Staates zwar mit großem Palaver angeprangert werden, aber doch ungesühnt bleiben. Das schürt Zynismus und Resignation. Dennoch gibt es noch die Tapferen, die eine unabhängige Untersuchung fordern, damit der Staat nichts vertuscht.

Auch Angel und Annalisa sprechen in der Sushi-Bar in Manila nach einer Weile über alles Schreckliche. Beide haben als Hausangestellte in Saudi-Arabien gearbeitet, und Angel erinnert sich, wie aufgeregt sie war, als sie losflog. Es war ihr erster Job in Übersee, und sie hoffte, mit dem Geld eine gute Ausbildung für ihre Söhne zu finanzieren. Aber es dauerte nur wenige Stunden, bis sie begriff, wohin sie geraten war. Sie hatte einen Vertrag mit einer Agentur unterschrieben, aber ihren saudischen Arbeitgeber interessierte das nicht. "Ich haben von morgens sechs Uhr bis nachts um eins geschuftet, jeden Tag", sagt Angel. Im Vertrag standen acht Stunden am Tag und ein freier Tag die Woche, in einem Haus mit drei Personen. "Tatsächlich musste ich alleine drei riesige Villen sauber halten, in denen große Familien lebten". Und selbst wenn sie krank war, durfte sie nicht ruhen.

Am Ende blieb ihr nur noch die Flucht

Bekam sie ihren Lohn, so nahm ihr die Frau ihres Arbeitgebers das Geld später wieder ab. Ihr Boss hatte ihr schon am ersten Tag den Pass abgenommen, wie es immer geschieht, und so lebte Angel wie eine Gefangene. Aber es kam noch schlimmer. Sie erzählt, dass ihr Arbeitgeber sie zweimal vergewaltigt habe, einmal habe er ihr dabei ein Messer an den Hals gehalten. So blieb ihr am Ende nur noch die Flucht. Sie war froh, als sie sich schließlich ins Auffangcenter der philippinischen Botschaft retten konnte.

Hilfe? Die ersehnte Erlösung? Angel lacht bitter. Ihre Agentur buchte zwar ein Rückflugticket, aber der philippinische Beamte, der ihr helfen sollte, hat ihr das Ticket nie ausgehändigt. Stattdessen brachte Angel vier Monate in dem Center zu und wurde stets von dem Beamten gefragt, ob sie nicht mal "Teilzeit" arbeiten wolle, um ihren Flug zu finanzieren. Sie lehnte ab. So kam sie erst viel später in den Flieger nach Manila. Angel kann auch die quälenden Gespräche nicht vergessen, die sie mit dem Beamten führte. Er erkundigte sich nach den Vergewaltigungen, und sie erzählte ihm alles, weil sie glaubte, er werde ihr helfen. Aber dann fragte er: "Und? War's guter Sex?"

Die Frau, die sich Annalisa nennt, musste ebenfalls in das Auffangcenter ihrer Botschaft fliehen. Dort wurde sie angerufen und gefragt, ob sie sich ihr Rückflugticket nicht mit einem One-Night-Stand verdienen wolle. Sie kannte den Anrufer nicht, aber sie wusste, dass sie ihre Nummer nur dem philippinischen Beamten anvertraut hatte.

Angel will die Philippinen nie wieder verlassen. Sie versucht es nun mit einem kleinen Laden in Manila, irgendwie. Es wird hart sein, aber ihre Mutter steht ihr bei. Sie hat selbst nicht viel, aber wichtiger ist: Auf sie ist Verlass.

© SZ vom 03.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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