"Pan Tau" und die Wende:Mit Hirn, Charme und Melone

Lesezeit: 4 min

  • Die TV-Figur "Pan Tau" wurde im Ost- wie im Westfernsehen gezeigt.
  • So wuchs eine Generation heran, die diesseits wie jenseits der Mauer die gleichen Helden hatte.
  • Vater des grenzüberschreitenden Kinderprogramms ist der ehemalige WDR-Mann Gert K. Müntefering.

Von Martin Zips

Zurück mit Charme und Melone: Otto Šimánek ist Pan Tau. Die Serie aus den Siebzigern gibt es neu auf DVD. (Foto: Heinz Wieseler/dpa)

Der dritte Inspektor der Flugsicherung ist sprachlos. Ein unbekannter Mann wurde während des Landeanflugs auf Prag am Flügel des Flugzeugs gesehen. Stehend, mit einem aufgespannten Regenschirm und einer Melone auf dem Kopf. "Ich kenne diesen Mann", ruft ein Mädchen begeistert. "Es ist Pan Tau." Doch der dritte Inspektor der Flugsicherung möchte sich von dem Kind nicht für dumm verkaufen lassen. "Das soll ich glauben?" Ziemlich überfordert ist er, der Uniformträger. Ebenso wie alle anderen sozialistischen Staatsdiener, die in diesem Kinderfilm vorkommen. Allein die Kinder sind die Helden. Und der Zauberer Pan Tau, der alle Regeln außer Kraft setzen kann.

Der Respekt vor der Staatsgewalt war nicht sonderlich ausgeprägt im tschechoslowakischen Kinderfernsehen der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre. Natürlich nur im Kinderfernsehen. In anderen Branchen wurden Systemkritiker, wie beispielsweise der Schauspieler Pavel Landovský, damals sofort mit Berufsverbot belegt. Im Kinderfernsehen aber konnte man - wenn man es geschickt anstellte - noch frech und subversiv sein. Unbemerkt von den Machthabern in Prag, Warschau, Moskau und Ost-Berlin.

Und da eben diese Kinderfilme im Ost- wie im Westfernsehen gezeigt wurden, wuchs so eine Generation heran, die diesseits wie jenseits der Mauer die gleichen Helden hatte: "Pan Tau", "Die Märchenbraut", "Die Besucher" oder "Luzie, der Schrecken der Straße". Da war es 1989 nicht ganz so schwer, auf die Straße zu gehen und zu rufen: "Wir sind ein Volk".

Gert Kaspar Müntefering, heute 82 Jahre alt und damals verantwortlich für das Kinderprogramm des Westdeutschen Fernsehens, erinnert sich in seiner Berliner Wohnung: "In der Bundesrepublik hatten wir damals mal genug vom amerikanischen Serienkram, von schwedischen Kindheitserinnerungen und japanischen Löwentrickfilmchen. Auf der Suche nach neuen Stoffen stieß ich Mitte der Sechziger auf den Pilotfilm zu einer tschechischen Kinderserie namens "Mister Jeewes". Der Ehemann der italienischen Schauspielerin Sophia Loren, Carlo Ponti, hatte damit ein Filmteam des tschechoslowakischen Filmstudios Barrandov beauftragt. In dem Film ging es um einen stummen Gentleman mit Zaubermelone, der sich mal klein und dann wieder groß machen konnte, Kinder und Tiere mochte und mit der modernen Technik sympathisch überfordert war.

Allerdings hatte sich der Italiener Ponti mit den tschechischen Kinderfilmemachern Ota Hofman und Jindřich Polák überworfen, der Pilotfilm war niemals ausgestrahlt worden. "Ein Glücksfall", erinnert sich Müntefering heute, "denn nun war ich es, der daraus eine Serie machen konnte." Doch nach fast dreijähriger Vorarbeit marschierten 1968 plötzlich Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei ein, der Prager Frühling wurde niedergeschlagen, das erste deutsch-tschechische Kinderfilmprojekt stand auf der Kippe. "Dann erhielt ich nur wenige Tage später ein Telegramm aus Prag: "Wir haben soeben mit den Dreharbeiten begonnen." Der Zusammenarbeit des tschechisch-sozialistischen Staatsfernsehens mit Medienleuten aus dem "imperialistisch verseuchten Westen" (so die Ost-Propaganda) stand - zumindest im Kinderprogramm - damit nichts mehr im Wege. Und aus Mister Jeewes wurde Pan Tau, der Serienheld.

"Die Okkupation der Tschechoslowakei durch die Sowjets im Jahr 1968 hatte auch in den kulturellen Bereich tief eingegriffen", erinnert sich Pan-Tau-Regisseur Jindřich Polák (1925-2003) in privaten Aufzeichnungen. "Der Kinderfilm jedoch wurde nicht so streng überwacht". Ein großes Glück. Nicht nur für ihn und den Schriftsteller und Drehbuchautor Ota Hofman (1928-1989). Auch für viele junge Fernsehzuschauer. So prägten bald immer mehr lustige, fantasievolle, gelegentlich auch respektlose Filme und Serien das TV-Programm gleichermaßen der Bundesrepublik, der Tschechoslowakei und - auch mit im Boot - des DDR-Fernsehens.

1 / 6
(Foto: Telexport/Prag/WDR)

Auch, wenn zwischen Ost und West so vieles anders war: Das Kinderprogramm war für viele gleich. Zwischen 1970 und 1978 verkörperte der Prager Schauspieler Otto Simánek (1925-1992) den Zauberer Pan Tau, mit dessen wunderbarer Zaubermelone Kinder in der Bundesrepublik, der DDR und in der Tschechoslowakei zu gleichen Zeit aufwuchsen. Trotz Mauer und Stacheldraht.

2 / 6
(Foto: WDR)

Auch weitere Kinderserien entstanden in deutsch-tschechoslowakischer Zusammenarbeit zwischen dem WDR-Mann Gert K. Müntefering und dem Prager Filmemacher-Duo Jindrich Polak (rechts) und Ota Hofman (links). Das war ebenso mutig wie ungewöhnlich, denn eigentlich kamen Kooperationen über den Stacheldraht politisch überhaupt nicht infrage. Doch welcher Politiker nahm damals schon das Kinderfernsehen ernst?

3 / 6
(Foto: Josef Vitek)

Auch Polak und Hofmans Kinderserie "Luzie, der Schrecken der Straße" (1980), in der die Fantasie eines kleinen Mädchens alle Grenzen sprengt, wurde mit Unterstützung aus dem kapitalistischen Westen gedreht.

4 / 6
(Foto: Jan Kubela)

Die deutsch-tschechoslowakische Kinderserie "Die Märchenbraut" von Václav Vorlícek (1980) hat Gert K. Müntefering ebenfalls mit eingefädelt. Auch sie schuf viele gemeinsame Kindheitserinnerungen der damals noch jungen Ost-West-Generation, die später das Jahr 1989 entscheidend mitprägte. In der Serie legt sich eine Prager Durchschnittsfamilie mit den bösen Mächten des Märchenreiches an.

5 / 6
(Foto: DEFA)

Bei "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" (1973), ein Kinderfilm, der heute noch Kultstatus hat, handelt es sich um eine Koproduktion der Tschechen mit den Filmstudios der DDR. Aber WDR-Mann Müntefering besorgte sich noch vor der ersten Ausstrahlung im DDR-Fernsehen die Lizenz-Rechte für Westdeutschland. Auch dieser Film verband die jungen Fernsehzuschauer im Osten mit denen im Westen.

6 / 6
(Foto: WDR/Schmiedberger)

Die wohl politischste deutsch-tschechoslowakische Kinderserie war "Die Besucher" (1981-1983). Hier reisen Wissenschaftler aus dem Jahr 2484 in das Jahr 1984 zurück, um den Zusammenstoß der Erde mit einem Kometen zu verhindern. Dass sie mit dem Alltag der Menschen im real existierenden Sozialismus häufig überfordert sind, dürfte da kein Zufall sein. Zur Öffnung der Grenzen und dem Fall der Mauer am 9. November 1989 in Berlin war es da nicht mehr weit.

Der dargestellte Familienalltag war meist eher sozialistisch, Spezialeffekte, Haarschnitte und Kostüme jedoch vornehmlich kapitalistisch. So lernte die junge Generation gegenseitig etwas voneinander. Und das mit der Mauer und dem Stacheldraht verstand in dieser Altersgruppe sowieso keiner mehr.

Pan Tau war nur der Anfang. WDR-Mann Müntefering entwickelte mit seinen tschechoslowakischen Kollegen noch viele weitere Programme, die man aus sozialistischer Sicht als "systemzersetzend" bezeichnen konnte. Nicht nur, weil (wie in "Luzie, der Schrecken der Straße") die Fantasie eines kleines Mädchens alle Grenzen überwand. Auch, weil (wie im Kinderfilm "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel") sich plötzlich ein jeder Hoffnung auf den gesellschaftlichen Aufstieg (Hochzeit mit Prinz) machen durfte - wenn er denn nur gegen das bestehende System (die böse Stiefmutter) rebellierte. Ja, am Ende ließ sich (wie in der sicher politischsten Kinderserie des Teams Polák/Hofman/Müntefering: "Die Besucher") mit der richtigen Portion Wahnsinn und Anarchie sogar der vom "Zentralrechner" angekündigte Weltuntergang abwenden.

Beim heranwachsenden Fernsehpublikum in Ost und West kamen diese Botschaften ausgezeichnet an. Hat der ehemalige Kinderfernsehredakteur Gert K. Müntefering, auch Erfinder der "Sendung mit der Maus", also einen Anteil daran, dass am 9. November 1989 die Mauer fiel?

"Diese Serien vermittelten den Kindern in Ost wie West eine positive Grundstimmung der jeweils anderen Seite", sagt Helena Srubar.

Müntefering winkt ab. "Ich war weder antiamerikanisch, noch kommunistisch. Ich suchte einfach nur nach bezahlbarem und gutem Programm." Aber klar, natürlich hätten seine tschechischen Kollegen ihre Arbeit mit viel subversiver Systemkritik gewürzt. "Mit ihrer spannenden Mischung aus Fantasie und Realität hatten sie von der Zensur nichts zu befürchten." Für einige Künstler wurden die Filme zudem zur Startrampe für weitere Karrieren: Der Ausstatter von "Die Besucher" zum Beispiel wanderte bald ans Set von Miloš Formans oscarprämierten Meisterwerk "Amadeus" und die Pan-Tau-Schauspielerin Ivana Zelníčková machte später in den USA unter dem Namen Ivana Trump Karriere.

Die Kommunisten jedenfalls fürchteten sich nicht vor der Zusammenarbeit mit den Kölner Fernsehleuten. Es ging ja nur ums Kinderprogramm. Und wurde im Westen mal wieder ein Preis für eine dieser Koproduktionen verliehen, so schickte man möglichst viele Parteifunktionäre vorbei. Aber klar, zwinkert Müntefering heute auf seinem Berliner Sofa über Kuchen und Cognacglas seinem Gegenüber zu: "Mit uns, den westdeutschen Fernsehleuten, hatten die jetzt natürlich den Fuchs in ihrem sozialistischen Hühnerstall."

"Diese Serien vermittelten den Kindern in Ost wie West eine positive Grundstimmung der jeweils anderen Seite", sagt Helena Srubar, in den Siebzigerjahren am Bodensee aufgewachsene Tochter tschechischer Emigranten. Über "Pan Tau und Co." hat sie ihre Doktorarbeit geschrieben. "Natürlich kam in den Serien auch Kapitalismuskritik vor. Etwa, wenn die Bösewichter ausgerechnet in einem Mercedes vorbeirauschten. Bedeutender für die Generation 1989 aber dürfte tatsächlich die Schaffung gemeinsamer Kindheitserinnerungen und Werte gewesen sein."

Davon wird vermutlich kaum noch etwas übrig bleiben, in der derzeit sich in der Entstehung befindenden Pan-Tau-Neuverfilmung. Eine eher auf dem Gebiet kommerzieller Vermarktung als inhaltlicher Tiefe erfolgreiche Münchner Produktionsgesellschaft ("Käpt'n Sharky", "Der kleine Drache Kokosnuss") hat diese gerade in Angriff genommen. Polák und Hofman leben schon lange nicht mehr - und ihre Erben haben unterschrieben. Im Jahr 2020 soll die Serie fertig sein. Und, das steht natürlich zu befürchten: Die fantastischen Helden des deutsch-tschechoslowakischen Kinderfernsehens drohen gut 30 Jahre nach dem Mauerfall bis zur Unkenntlichkeit kapitalisiert zu werden. Aber klar, die Erde dreht sich weiter.

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: