Mehr als 50 Regenbogen-Fahnen wehen über dem Eingang des Stonewall Inn in Manhattan, 50 Rosen liegen davor. Eine für jeden Menschen, der in Florida getötet wurde, während eines Angriffs auf einen Gay-Club. Der Massenmord gilt als die schlimmste Bluttat eines einzelnen Schützen in der Geschichte der USA.
Der Angreifer mit dem Namen Omar Mir Siddiqui Mateen war ein US-Bürger mit afghanischen Wurzeln. Nach dem Angriff reklamierte die IS-Miliz die Verantwortung für die Bluttat von Orlando für sich.
Auf einem Pappschild neben dem Eingang steht geschrieben: "Ihr könnt mir mein Leben nehmen, aber ihr werdet unsere Stimme nicht ersticken. #iamPulse". Auf einem weiteren Schild heißt es: "Stoppt den Hass." Deswegen sind die Menschen an diesen Ort gekommen. "Wir wollen die Menschen wertschätzen, die in Orlando gestorben sind", sagt einer der Besucher. Viele von ihnen legen Blumen nieder. Kurz nach 18 Uhr (Ortszeit) sind mehr als 1000 Menschen hier.
In deutlich mehr als 100 Städten, quer über Amerika verteilt, haben Menschen zu Solidaritätsdemos aufgerufen, wie jene in New York. In Nashville sind mehrere Hundert Menschen zusammengekommen. Für die kommenden Tage sind weitere Kundgebungen angekündigt.
Orlando: Hilfe für Opfer im Vordergrund
In Orlando selbst steht nach wie vor die Hilfe für die Opfer und deren Angehörige im Vordergrund. Als am Morgen das Ausmaß der Schießerei klar wurde, hat sich das LGBT Community Center of Central Florida mit zahlreichen anderen Organisationen zusammengetan, um Hilfe zu leisten, wo sie gebraucht wird (LGBT steht für Lesbisch, Gay, Bi, Trans). Über eine Hotline und bei den Organisationen direkt wird allen, die in irgendeiner Weise von der Schießerei betroffen sind, psychologische Hilfe oder Trauerberatung angeboten.
Auch wenn in Orlando selbst das Bedürfnis zusammenzukommen und den Opfern zu gedenken wohl am größten ist, bittet die Stadt darum, keine Mahnwachen und Gedenkfeiern abzuhalten. In einem Brief schreibt Bürgermeister Buddy Dyer, dass dafür zu viele Sicherheits-Ressourcen gebraucht werden, die für die Ermittlungen und die Versorgung der Opfer gerade dringend benötigt werden.
Die örtlichen LGBT-Gruppen haben sich in einem Statement geäußert. "Es gibt nicht genügend Worte, um unserer Trauer Ausdruck zu verleihen. Unsere Gemeinde ist verwundet."
Todesopfer werden auf Webseite bekannt gegeben
Der Gouverneur des Bundesstaates Florida, Rick Scott, setzte für 18 Uhr Ortszeit eine landesweite Schweigeminute an. Die Fahnen werden bis einschließlich 16. Juni auf Halbmast gehisst sein.
Die Stadt hat mittlerweile eine Seite eingerichtet, auf der Namen und Alter der Todesopfer bekannt gegeben werden. Die Liste wächst langsam. Die Opfer werden erst identifiziert, anschließend die Angehörigen informiert. Eventuell haben auch nicht alle Opfer offen als Teil der LGBT-Community gelebt.
Connor Hachey, ein schwuler Moderator des Digitalsenders " Pride Radio Orlando" beschreibt die LGBT-Szene seiner Heimatstadt im Interview mit ABC News als sehr eng vernetzt und lebhaft. Auch wenn die LGBT-Community mit Anfeindungen umgehen müsse, sei das, was in jener Nacht passiert sei, komplett unerwartet gewesen.
In New York wechseln sich die Redner ab. Jede Person, die zu der Masse sprechen will, findet Gehör. Einer der Redner sagt, dass die Gewalt von Florida nicht in einem Vakuum stattgefunden habe. "Leute wie wir sterben jeden Tag in dieser Stadt, in diesem Land, weltweit. Wir sterben aufgrund dessen, was Politiker und religiöse Anführer unterrichten", sagt der Mann. Der Kampf um die Rechte der LGBT finde kontinuierlich statt. Die Menschen applaudieren und schreien: "Orlando, we got your back, we got your back." Orlando, wir stehen hinter euch.
Flyer werden herumgereicht. "Trauert um die Opfer. Unterstützt die Familien und die Nahestehenden", steht drauf. Ebenfalls abgedruckt ist der Link auf ein Crowdfunding-Seite. Innerhalb von zehn Stunden werden mehr als eine Million US-Dollar eingesammelt, die an Familien und Hinterbliebene der Opfer weitergereicht werden sollen.
"Wir sind in diesem Kampf vereint"
Die Stimmung ist größtenteils aufgewühlt, doch viele Menschen liegen sich auch in den Armen, die Tränen hinter einer Sonnenbrille versteckt. "Ich fordere euch auf, an eine Person zu denken, die ihr aufgrund von Anti-LGBT-Hass verloren habt", sagt ein Sprecher der Queer Nation, einer Aktivistengruppe, die sich für LGBT-Rechte einsetzt. Und weiter: "Ich fordere euch auf, an eine Zeit zu denken, in der ihr euch in eurer Gemeinde unsicher gefühlt habt. Ich fordere euch auf, zu überlegen, wie ihr - nicht ich, nicht sie, nicht die anderen - daran arbeiten könnt, um das zu verbessern. Wir sind in diesem Kampf vereint."
Die Versammlung wird von der Polizei und Anti-Terror-Einheiten flankiert. Es ist ein klares Signal. Die Stadt New York hat ihre Sicherheitsvorkehrungen um berühmte Orte für LGBT herum massiv erhöht. In den USA wird gerade der Pride Month gefeiert. "Die Zeiten haben sich geändert", twittert eine Nutzerin.
Stonewall: Historischer Ort für LGBT
Stonewall, der Ort für die Solidaritäts-Kundgebung in New York, gilt als Wiege für den Kampf um die Rechte der LGBT in den USA. Polizisten stürmten damals routinemäßig Schwulen-Bars. Doch 1969 entschied sich die Szene, sich das nicht länger gefallen zu lassen. Es kam zu massiven Protesten - und zum Entstehen der Bewegung, die bis heute um ihre Rechte kämpft.
Darauf weist ein weiterer Sprecher hin. "Ich bin ein schwuler DJ", sagt er zu Beginn. "Eine Gay-Bar war der erste Ort, an dem ich mich wie ich selbst gefühlt habe. Eine Gay-Bar ist der Ort, an dem eine Revolution stattgefunden hat!" Eine Gay-Bar ist ein "safe space", sagt der Mann weiter. Mit dem Begriff "safe space" werden Orte bezeichnet, in denen sich vor allem Minderheiten frei bewegen können. Jene Orte wie der Pulse Club in Florida. Er wurde zum Schauplatz eines Massakers.
Auch Mirna Haidar wendet sich an die Menge. Sie ist Muslimin und queer, Mitglied der Muslim Alliance for Gender and Sexual Identity. Sie sagt, dass die Bluttat kein "Muslim issue" sei, also kein Problem der Muslime. Sie kann ihren Satz nicht beenden, da sie unterbrochen wird. Aus der Menge schreit eine Person, dass es sehr wohl ein Problem der muslimischen Gemeinde sei. Die Anwesenden beginnen zu brüllen: "Kein Hass, kein Hass!" Es vergehen ein paar Momente, dann kann Haidar weitersprechen.