Österreich-Kolumne:Seltsam, seltsam

Lesezeit: 2 min

2021 war das Dreikanzler-Jahr in Österreich: Sebastian Kurz, Alexander Schallenberg und Karl Nehammer. (Foto: dpa, imago, getty; Collage Jessy Asmus)

Drei Kanzler, der Lieblingsplattenladen sperrt zu und Sisi wird von einer Schweizerin gespielt. Was ist nur los in Österreich? Höchste Zeit für ein Telefonat zwischen München und Wien.

Von Martin Zips

"Wie mein Jahr war?", hat der Leopoldstädter in sein Tastenhandy gerufen. "Beschissen war's! Ein Riesendreck!"

Zuletzt hatte ich mich ihn gar nicht mehr anzurufen getraut, meinen besten Freund. Und in seine Stadt bin ich auch nicht gefahren. Erstens, weil Lockdown war, zweitens war Regierungskrise und drittens hatte ich echt Angst, dass mir einer dieser Samstagsdemonstranten auf dem Wiener Heldenplatz eine Kuhglocke auf den Kopf haut.

Jedenfalls habe ich ihn dann doch noch erreicht, meinen lieben Leopoldstädter. Und da hab ich ihn gefragt, wie es denn so war, sein Jahr, und dass ich ihm alles Gute fürs nächste wünsche.

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"Du, ich steh grad im EMI in der Kärntner Straße", hat der Leopoldstädter da gesagt. "Ich muss mir dringend etwas mit Pretty Yende kaufen." "Mit wem?", habe ich den Leopoldstädter gefragt. "Yende! Die Opernsängerin. Hast du sie denn nicht in ,La Traviata' gehört? Im Fernsehen ohne Publikum? Also diese Übertragung aus der Staatsoper? Die hat mich völlig aus meiner Dreikanzler-Depression geholt."

Jetzt wird auch noch die Sisi von einer Schweizerin gespielt!

"Ach", habe ich gesagt. "Und wie war das Jahr sonst für dich?" "Oida", hat der Leopoldstädter da gerufen. "Willst du mich karniefeln? Erst hab ich mich im Stephansdom impfen lassen, dann haben mich die Demonstranten vor dem Burgtheater mit Bengalos angesengt und am Ballhausplatz haben mich die Journalisten umgerannt, weil ständig Rücktritt war. Und jetzt geht der Kurz als Manager zu einem Trump-Anhänger in die USA, Sisi wird von einer Schweizerin gespielt und nach 90 Jahren schließt mein Lieblingsplattenladen. Mir hilft jetzt nur noch Pretty Yende!"

Aber da habe ich dem Leopoldstädter erklärt, dass ich ihn nicht ärgern will, sondern er doch froh darüber sein kann, dass sich der Kurz und der Blümel aus der Politik verabschiedet haben, während in Deutschland Friedrich Merz vom Investmentschieber Blackrock in die Führungsriege der CDU gewechselt ist. Doch da hat der Leopoldstädter plötzlich angefangen "È strano! È strano!" zu singen. Das ist die Arie der Violetta in "La Traviata". Und dann hat ihn, das konnte man hören, die Verkäuferin vor die Tür gesetzt. Denn Singen ist im Einzelhandel auch mit FFP2-Maske nicht erlaubt. Nicht mal für Geboosterte. Es ist seltsam! Es ist seltsam!

(Foto: RTL; Collage Jessy Asmus)

"Was ist nur los in der Welt?"

"2022 wird sicher alles besser werden!", habe ich den Leopoldstädter da aufgemuntert. Aber plötzlich war ein ziemlicher Lärm zu hören und dann ein Wortwechsel, und nach einer Minute hat der Leopoldstädter gesagt, er sei gerade auf der Kärntner Straße auf einen Dackel getreten, aber nur aus Versehen. Und da habe ihm die Dackelbesitzerin sofort ihr Handy vor die Nase gehalten und gemeint, sie stelle das jetzt online, denn er sei ja ganz offensichtlich ein Tierhasser.

"Was ist nur los in der Welt?", hat der Leopoldstädter da gerufen. "Können wir bitte wieder zusammen in den Sperlhof gehen, Deutscher? Ein Bier trinken?" Aber da haben der Leopoldstädter und ich gesehen, dass auch der Sperlhof zum Jahresende für immer schließt.

È strano, haben wir da gesagt. È strano.

Diese Kolumne erscheint am 30. Dezember 2021 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung zu Österreich in der SZ bündelt. Gleich kostenlos anmelden.

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