Ölpest im Golf von Mexiko:Stöpsel der Hoffnung

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Mit ferngesteuerten U-Booten und Chemikalien kämpft BP gegen das Leck im Golf von Mexiko - doch die Gegenmaßnahmen sind nicht ohne Nebenwirkungen.

Christopher Schrader

Knapp vier Wochen haben die BP-Ingenieure gebraucht, um gute Nachrichten zu produzieren. In der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) ist es ihnen gelungen, eine Art Stöpsel auf einem der Lecks in 1,6 Kilometern Tiefe anzubringen, aus denen seit dem 20. April Rohöl in den Golf von Mexiko fließt.

Ein kleiner Junge will ins Meer - aber er muss erst eine Gruppe von Ölarbeitern passieren lassen. (Foto: Foto: AFP)

Durch eine Leitung habe die Mannschaft des Bohrschiffs Discoverer Enterprise an der Oberfläche Öl und Gas aus einem verbogenen Rohr pumpen können, das sich seit dem Unglück am 20. April nicht hatten abdichten lassen, heißt es in einem Statement, das BP und Küstenwache gemeinsam veröffentlichten. Das Öl sei aufgefangen, das Gas abgefackelt worden.

"Wir werden versuchen, so viel Öl wie möglich einzufangen", erklärte BP-Vizechef Kent Wells am Sonntag (Ortszeit) in Houston im US-Bundestaat Texas. Wells konnte jedoch nicht sagen, wie viel Öl und Gas mit dieser Methode aus dem Bohrloch am Meeresboden abgesaugt werden kann: "Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, wie viel Prozent es sein werden."

Die US-Regierung reagierte zurückhaltend. Heimatschutzministerin Janet Napolitano erklärte in Washington: "Diese Technik ist keine Lösung für das Problem, und es ist jetzt noch nicht klar, wie erfolgreich sie sein wird."

Die "Tests" von BP würden weiter beobachtet. Wissenschaftler arbeiteten weiter an neuen Strategien und Techniken, wie der Ölfluss gestoppt werden könne. "Wir werden keine Ruhe geben, bis BP das Leck permanent abgedichtet hat, die Ölverschmutzung beseitigt ist und die Kommunen und die Natur der Golfküste wieder hergestellt sind", heißt es in einen Statement, das Napolitano zusammen mit Innenminister Ken Salazar herausgegeben hat.

Auf die Idee mit dem Stöpsel und der Leitung waren die Ingenieure erst vor kurzen gekommen. Die jetzt verwendete Konstruktion erinnert entfernt an einen Ausgießer, den man in der Küche auf eine Flasche Balsamico-Essig setzt, um ihn in einem dünnen Strahl besser zu dosieren. Am Samstag war der erste Versuch noch misslungen. Ferngesteuerte U-Boote sollten eine Leitung von zehn Zentimeter Durchmesser in die Öffnung des 53 Zentimeter dicken Rohrs stecken, die seit dem Versinken der Bohrplattform Deepwater Horizon verbogen auf dem Meeresgrund liegt. Dank einer Dichtung wäre das ausströmende Öl dann in die dünne neue Leitung geflossen.

Doch weil ein Metallrahmen am verbogenen Rohr verzogen war, misslang das Manöver im ersten Anlauf, die Dichtung musste umgebaut werden. "Wir haben so etwas noch nie gemacht und brauchen Zeit, um es richtig zu machen", sagte BP-Sprecher Jon Pack. Am Sonntag nun glückte der Versuch; die Roboter schoben die neue Leitung 1,50 tief in das alte Rohr. Berichten zufolge hatten die BP-Ingenieure die Leitung mit Stickstoff gefüllt, das sie langsam heraussaugten, um das Öl aus dem Leck mitzuziehen, ohne dass sich Meerwasser darunter mischt.

Nachdem die ersten Mengen Öl und Gas oben angekommen war, rutschte jedoch die neue Leitung wieder aus dem alten Rohr. Die Ingenieure hätten ihre Konstruktion aber überprüft und erfolgreich wieder eingesetzt, erklärten Küstenwache und BP. Das Bohrschiff an der Oberfläche könne nun den größten Teil des Öls aus der leckgeschagenen Quelle aufnehmen und Öl, Gas und Wasser trennen.

Um die Leitung frei von Kristallen aus Gashydraten zu halten, können die Arbeiter Methanol hindurch pumpen. Die eisigen Kristalle hatten vor einigen Tagen die Hoffnung zunichte gemacht, die Ölpest mit einer 125-Tonnen-schweren Stahlkuppel zu stoppen, die über das Leck gestülpt werden sollte. Ein weiteres Leck ist allerdings immer noch offen.

Etliche weitere Optionen werden aber nun womöglich verschoben oder unnötig. So hatte der Konzern auf dem Meeresgrund bereits eine zweite Glocke abgestellt, die über das Leck gestülpt werden sollte. Bei ihr lässt sich der Innenraum beheizen, um die Bildung von Gashydratkristallen zu verhindern; sie hatten bei der ersten, größeren Glocke die Pumpleitungen nach oben verstopft.

Außerdem bereiten die Helfer eine Reihe sogenannter Junk Shots vor, wie das Verfahren im Slang der Ölarbeiter heißt. BP hätte dann unkonventionelle Stoffe wie Plastikwürfel, geschredderte Autoreifen kurze Abschnitte von Elektrokabeln, verknotete Stücke Seil oder sogar Golfbälle in das Absperr-Ventil der Ölquelle gepresst, das aus unbekannten Gründen versagt hatte. Bei Bohrungen an Land sind solche "Müll-Schüsse" etablierte Notmaßnahmen.

Unter Wasser aber bedeuten sie viel mehr Aufwand, und die Arbeiter sehen und hören auch nicht sofort, ein Material den Erfolg gebracht hat, oder ob sie ein anderes probieren müssen.

Angesichts der vielen Ideen verbreiten BP-Manager auch in den vergangenen Tagen weiterhin grimmigen Optimismus. "Ich glaube, wir können das regeln und wir werden es auch schaffen", sagt BP-Chef Tony Hayward am Freitag der britischen Zeitung Times. "Die einzige Frage ist nur: wann." Die zur Schau gestellte Überzeugung gründete sich wohl auch auf die Gewissheit, spätestens nach einigen Monaten mit der bereits eingeleiteten Entlastungsbohrung Erfolg zu haben.

Erst auf diese Weise war im vergangenen Jahr auch eine Ölpest in der Timorsee vor Australien gestoppt worden. Dort brauchten die Ingenieure fünf Versuche und zehn Wochen, von einer zweiten Bohrplattform genau den Kanal unter der ersten zu treffen, der sich anders nicht verschließen ließ. Und dort war das Wasser keine hundert Meter tief.

Um die Küsten auch weiterhin vor dem direkten Anschwemmen von Ölteppichen zu schützen, setzten BP und Küstenwache dagegen vor allem auch Chemie. Sie schicken seit vielen Tagen Tiefflieger über das Wasser des Golf von Mexiko, um das dort treibende Öl zu binden und zum Absinken zu bringen. 1,8 Millionen Liter der erst vor kurzem entwickelten Substanz Corexit haben die Maschinen bereits versprüht.

Seit dem vergangenen Wochenende durfte BP das Mittel auch in 1,6 Kilometern Tiefe verteilen, damit das ausströmende Öl gar nicht erst die Oberfläche erreicht. Umweltschützer kritisieren das, weil die Auswirkungen des Mittels auf die Umwelt ungeklärt sind. Dagegen sagte die Chefin der amerikanischen Umweltbehörde EPA, Lisa Jackson, nach Tests ihrer Behörde, die Substanz sei weniger schädlich als das austretende Öl. Dennoch bemängelt zum Beispiel Kert Davies von Greenpeace in der Washington Post: "Es ist, als würde das Problem unter den Teppich gekehrt."

Tatsächlich haben Forscher bereits unerwartete Nebenwirkungen festgestellt: Nicht nur an der Oberfläche, auch in verschiedenen Tiefen unter Wasser haben sich Ölfilme gebildet. Der größte ist sechzehn Kilometer lang, fünf breit und bis zu 100 Meter dick. "Da ist eine schockierende Menge von Öl im tiefen Wasser", sagte Samantha Joye von der University of Georgia der New York Times.

Offenbar können die kleinen Tröpfchen Öl nur langsam aufsteigen. Die Filme hätten daher wohl die Konsistenz von Salatdressing, vermutet Joye. Der Sauerstoffgehalt des Wassers sei in ihrer Nähe bereits um 30 Prozent gesunken, was die gesamte Meeresfauna bedrohe.

Zudem könnte die bisher angegebene Menge weit untertrieben sein, fürchten Forscher wie Ian MacDonald von der Florida State University. Statt 800.000 Litern könne auch das "vier- bis fünffache ausströmen", zitieren ihn amerikanische Medien. BP hat Forschern wie ihm bisher aber die Erlaubnis verweigert, die genauen Mengen zu messen, was die Wissenschaftler scharf kritisieren. Die Ölgesellschaft kontert, ihre Helfer dürften nicht von den Bemühungen abgelenkt werden, die leckende Quelle unter Kontrolle zu bekommen.

Die Forscher geben daher nicht viel auf die Bemühungen der Ölgesellschaft, das Problem in den Griff zu bekommen. "Die BP wird diese Ölpest nicht auf beseitigen, die Küstenwache wird sie nicht beseitigen", sagt Ian MacDonald. "Am Ende werden es die physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse im guten alten, geschundenen Golf von Mexiko richten müssen."

© SZ vom 17.05.2010/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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