Missbrauchsskandal:Sexuelle Übergriffe erschüttern Kirche

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War der Missbrauch von Schülern des renommierten Canisius-Kollegs in Berlin kein Einzelfall? Die katholische Kirche prüft weitere Vorwürfe.

Nach dem Missbrauchsskandal im renomierten Canisius-Kolleg in Berlin erschüttern weitere Verdachtsfälle von sexuellen Übergriffen die katholische Kirche. Das Erzbistum Berlin prüft nun auch Vorwürfe gegen einen Priester der Gemeinde Heilig Kreuz in Berlin- Hohenschönhausen, wie ein Bistums-Sprecher bestätigte. Auch im Bistum Essen wird ein Geistlicher des Missbrauchs verdächtigt.

Schauplatz des Leids: das Canisius-Kolleg in Berlin. (Foto: Foto: ddp)

Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft derweil, ob Ermittlungen eingeleitet werden können. Entscheidend sei dabei, ob die Taten mittlerweile verjährt seien oder nicht, sagte eine Sprecherin.

Im Falle des Canisius-Kollegs hat einer der beschuldigten Priester die Vorwürfe bereits bestätigt. Der frühere Sportlehrer Wolfgang S. schrieb in einer vom Spiegel veröffentlichten Erklärung, er habe "jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt". Das Schreiben ist auf den 20. Januar datiert.

S. trat dem Magazin zufolge 1992 aus dem Orden aus. Zuvor war er auch an der Hamburger Sankt-Ansgar-Schule und in Sankt Blasien im Südschwarzwald tätig gewesen. Medienberichten zufolge soll es auch dort zu Übergriffen auf Schüler gekommen sein. S. lehnte laut Spiegel einen Kommentar dazu ab.

Der heute in Südamerika lebende 65-Jährige gab an, bereits 1991 seine "damaligen deutschen Provinzialoberen eingehend über meine verbrecherische Vergangenheit informiert" zu haben. Auch der Vatikan sei laut S. über die Verfehlungen am Canisius-Kolleg im Bilde gewesen. Er habe dort "Zeugnis von meiner nichts beschönigenden Ehrlichkeit" abgelegt, zitiert ihn der Spiegel. Der zweite Beschuldigte bestritt sämtliche Vorwürfe.

"Die Methoden der Lehrer waren perfide"

Unterdessen meldeten sich ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs zu Wort und berichteten von den Vorgängen an der Schule zwischen 1970 und 1980. Die Berliner Zeitung zitierte am Samstag einen Ex-Schüler, der zwischen 1975 und 1979 zusammen mit einem der beiden beschuldigten Patres mehrfach in den Keller der Schule gehen musste und dort misshandelt wurde. 1981 hätten er und sieben ehemalige Mitschüler einen Brief an ihre Schule und das bischöfliche Ordinariat geschrieben, in dem sie von dem Pater und seinen Taten erzählten. "Es kam nie eine Reaktion", sagte er der Zeitung.

In der Berliner Morgenpost sagte ein Opfer, dass er bis heute unter den Vorgängen in der Elite-Schule leide. Der 47-Jährige habe Drogenprobleme, auch sei seine Sexualität seitdem gestört. "Die Methoden der beiden Lehrer waren perfide und immer die gleichen. Ich gehe davon aus, dass es insgesamt mehrere Dutzend Opfer gibt", sagte er.

Der Rektor der Privatschule, Pater Klaus Mertes, hatte von mindestens 22 ehemaligen Schülern gesprochen, die sexuell missbraucht worden sein sollen. Alle hätten zwei Patres als Täter beschuldigt. Die vom Orden eingesetzte Vermittlerin Ursula Raue ergänzte, es seien aber auch andere Namen gefallen. Die Vorfälle kamen ans Licht, weil sich Mertes in einem Brief an etwa 600 ehemalige Schülerinnen und Schüler gewandt hatte. Er selbst habe 2004 oder 2005 erstmals von den Vorwürfen erfahren. Damals waren die Beschuldigten bereits pensioniert. Mertes war zur Zeit der Taten noch nicht Rektor.

Homophobie in der Kirche

Der Leiter der Jesuiten in Deutschland, Pater Provinzial Stefan Dartmann bestätigte, dass er Ende 2006 vom Rektor des Gymnasiums, Klaus Mertes, über "entsprechende Signale Betroffener" informiert worden sei. Die Opfer hätten damals um absolute Diskretion gebeten. Jetzt mache das Hervortreten einiger Opfer jedoch ein Untersuchungsverfahren zur vollständigen Aufklärung möglich. Er äußerte zugleich sein Bedauern über die Vorfälle: "Zusammen mit Pater Klaus Mertes, dem Rektor des Kollegs, teile ich die Trauer und Scham über die Verbrechen unserer ehemaligen Mitbrüder", sagte er.

Mertes beklagte zudem im Tagesspiegel am Sonntag, die Kirche leide an Homophobie. "Homosexualität wird verschwiegen. Kleriker mit dieser Neigung sind unsicher, ob sie bei einem ehrlichen Umgang mit ihrer Sexualität noch akzeptiert werden." Obwohl die bekannt gewordenen Missbräuche weit zurücklägen, sei die Gefahr erneuter Übergriffe niemals auszuschließen, sagte Mertes. Deshalb müsse man jetzt an den katholischen Privatschulen vorbehaltlos prüfen, welche Unzulänglichkeiten Übergriffe begünstigen könnten. Dazu gehörten Mängel der kirchlichen Sexualpädagogik, unzureichende Beschwerdemöglichkeiten für die Schüler oder ein "zu autoritäres Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern".

Auch im Bistum Essen wird gegen einen Geistlichen ermittelt. Die Staatsanwaltschaft habe ein Verfahren eingeleitet, berichtete das Bistum. Nach Bekanntwerden der Anschuldigungen habe Bischof Franz-Josef Overbeck den Priester bis zur endgültigen Aufklärung des Sachverhalts beurlaubt.

Der Jesuitenorden zählt eigenen Angaben zufolge weltweit knapp 19.000 Mitglieder und ist der größte katholische Orden. Die Deutsche Provinz der Jesuiten, der Hauptsitz, ist in München angesiedelt.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP/apn/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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