Mimik:Cheese!

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Es sieht immer ein wenig so aus, als stünde hinter der Kamera einer mit drohend gezückter Waffe - und dennoch erntete es großen Ruhm: Über das gequälte Kultlächeln des unbekannten Ungarn András Arató.

Von Tim Neshitov und Cornelius Pollmer

Im Jahr 1996 gab András Arató ein erstes Mal seiner Sehnsucht nach, von der Welt beachtet zu werden. Er lud eine eigene Seite ins Internet, sie zeigte nicht viel mehr als seinen Namen in verschiedenen Schriften, Koreanisch und Hebräisch, Russisch und Chinesisch. Jahre später wagte sich Arató, ein Ingenieur aus Ungarn, ein zweites Mal nach vorn. Er willigte ein, zahlreiche Stockfotos von sich erstellen zu lassen. (Stockfotos sind selten solche, auf denen ein Stock zu sehen ist, Stockfotos sind vorproduzierte, in der Regel inszenierte, von Agenturen vertriebene Aufnahmen, die abstrakte Themen bebildern.) Arató lieh auf diese Weise allen möglichen Sachzusammenhängen sein Gesicht.

Mal radelt er in seiner Wohnung, ein Bild, wie gemacht für das Vorsorgeprospekt einer Krankenkasse. Auf einem anderen ist er selbst der Arzt, er trägt Brille, weil das seriös aussieht, das Stethoskop hängt ihm schlaff wie eine verendete Äskulapnatter um den Hals. Arató telefoniert, er bringt Frauen Blumen oder spielt mit ihnen Karten am Kamin. Sein Heimwerken ist umfassend dokumentiert, und selbst wenn ihn infolgedessen Rückenschmerzen plagen, so geht Arató schon zwei Bilder weiter bester Laune zur Physio. Er ist dabei kein Rumtreiber, verbringt viel Zeit daheim, liest Zeitung, sitzt auf der Couch. Er sitzt wirklich oft auf der Couch. Manchmal reißt er die Arme hoch und jubelt, aus schierer Freude, einfach so. Was für ein Leben!

Genau da aber kommt das Internet ins Spiel und seine einfallsreiche Gnadenlosigkeit. Dem gelangweilten und vergnügungsorientiertem Kollektiv fiel irgendwann auf, dass Aratós Lächeln auf den meisten Bildern eher abgründig, mindestens aber abwesend wirkt. Auf manchen Fotos hat es gar den Anschein, als stünde im Off ein Schwerbewaffneter und richtete die Waffe auf ihn, Mundwinkel hoch oder ich schieße! Die Häufung solcher Bilder führte dazu, dass man András Arató heute wirklich in weiter Welt kennt, vorzugsweise allerdings unter einem ihm zugewiesenen Pseudonym: Hide The Pain Harold. Einige auf Ausgleich bedachte Photoshop-Künstler montierten Aratós Gesicht in Mount Rushmore oder ließen ihn über Wolken fliegen. Häufiger aber ist der Tenor der Bild- und Textkommentare: Moment, bei dem stimmt doch was nicht.

Er werde von niemandem bedroht, versicherte er, und er leide auch nicht an Schmerzen

Zur noch größeren Freude des Internets hat sich András Arató vor einiger Zeit enttarnt und zugesichert, dass er von niemanden bedroht werde und auch keine Schmerzen zu leiden habe. Das leere Lächeln, das sei "nicht mein Gesicht", sondern das Ergebnis kraftzehrend langer Fotoshootings. Und gerade weil Arató sich in all den Bildern nur bedingt sich selbst erkennt, hat er akzeptiert, weder mit seinem Wesen noch unter Klarnamen berühmt zu sein. Erst habe der Ruhm des schiefen Lächelns ihn irritiert, sagte er mal. Dann aber sei ihm eingefallen, dass er als Bub in Schulbüchern selbst Piratengesichter auf Fotos malte. Eigentlich nichts anderes als jene Phänomene, die man heute im Netz "Meme" nennt und von denen er selbst eines ist.

Die von ihm bekritzelten Leute, sagt Arató, seien durch seine Verzierungen "weder größer noch kleiner geworden". Und das ist doch eine Erkenntnis, so schön wie ein aufrichtiges Lächeln: Der Wert eines Menschen bemisst sich am Ende ohnehin nicht in seinen Äußerlichkeiten.

© SZ vom 16.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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