Michael Jackson:Im Tod hat er nur noch Freunde

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Ein verlorener Sohn kehrt zurück: Wie das schwarze Amerika auf einmal Michael Jackson vereinnahmt.

Reymer Klüver

Zu Lebzeiten war der King of Pop von einem Hofstaat umgeben: von Beratern, Bodyguards, von Adabeis. Und wie die Washington Post richtig beobachtete: Nie war Michael Jacksons Gefolge zweimal dasselbe. So schnell änderte sich der Kreis von Einflüsterern und vermeintlichen Freunden um ihn. Im Tode ist es nun nicht anders. Nicht nur taucht nun ein Doktor auf, ein Kardiologe aus Las Vegas, der offenkundig sein neuester Leibarzt war und übers Wochenende zumindest ein paar Fragen der Polizei in Los Angeles zu beantworten hatte.

Ein Bild des jungen King of Pop. Damals war er noch schwarz und hatte strahlende Augen und auch ein strahlendes Lächeln. (Foto: Foto: Reuters)

Der Mediziner Conrad Murray ließ inzwischen über seinen Anwalt verbreiten, dass er seinen Patienten bereits bewusstlos in dessen Haus gefunden habe - keinesfalls habe er ihm schwere Schmerzmittel verabreicht, die möglicherweise zum Tode geführt hätten, wie frühere Vertraute des Stars spekulierten.

Ein Idol, das danach strebte, seine Haut abzustreifen

Auch ein alter Bekannter, nicht unbedingt Michael Jacksons, aber der amerikanischen Öffentlichkeit, ist plötzlich so allgegenwärtig, als habe er immer dazu gehört. Sein Name kam stets auf in früheren Jahren, wenn es um Amerikas gepeinigtes Verhältnis zu seiner schwarzen Minderheit ging. Spätestens aber seitdem ein Schwarzer, noch dazu wie er aus Chicago, zum Star im amerikanischen Wahlkampf und dann sogar zum Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde, war es fast unheimlich still um ihn geworden.

Das ist nun - zumindest für ein paar Tage wohl - vorbei: Jesse Jackson, der alte Bürgerrechtler, ist wieder da. In seiner neuesten Inkarnation tritt er auf als Sprecher der Familie Michael Jacksons und versucht sich einmal mehr in der Rolle, die er zeitlebens spielen wollte, die er aber zu seinem vermutlich nagenden Missvergnügen nie wirklich hat ausfüllen können: als Vormann des schwarzen Amerika.

Denn die Trauer um das Idol, das einen Gutteil seines erwachsenen Lebens danach strebte, seine Haut abzustreifen und davon gesungen hat, wie egal es ihm sei, ob man nun schwarz oder weiß ist, hat sich in Amerika ganz schnell an eben dieser Frage aufgeladen. Das hat Jesse Jackson, der alte Fuchs, erkannt.

Und nicht nur er. Die Preisverleihung des Fernsehsenders BET (Black Entertainment Television) am Sonntagabend geriet zur Feier des schwarzen Künstlers Michael Jackson. "Wir wollen diesen schwarzen Mann feiern", deklamierte Schauspieler Jamie Foxx. "Er gehört zu uns, und wir haben ihn mit allen geteilt." Ursprünglich hatte Jackson bei der BET-Party gar nicht bedacht werden sollen. Sein Tod hat alles verändert.

"Ohne Zweifel war er ein Schwarzer"

Das schwarze Amerika macht in diesen Tagen seinen Frieden mit einem Mann, der immer mehr so aussehen wollte wie ein Weißer. In den schwarzen Kirchen des Landes wurde Jackson am Sonntag als Teil der Gemeinde gefeiert - ein verlorener Sohn kehrt zurück. "Er ist nicht König der Könige", zitiert die New York Times die Pastorin der First African Methodist Episcopal Church in South Los Angeles, "aber er ist der König des Pop und ein Gottesgeschenk." South L.A. war früher wiederholt Schauplatz von Rassenunruhen.

Ein paar Meilen weiter im Norden, in Hollywood, standen Menschen aller Hautfarben am Sonntag in langer Schlange geduldig hinter Absperrgittern an, um einen Blick zu werfen auf Michael Jacksons bronzenen Stern und Händeabdruck auf dem Walk of Fame. "Ohne Zweifel war er ein Schwarzer", sagte Demetrius Hunter, selbst schwarzer Hautfarbe, der Washington Post, "auch wenn er jemand ganz anderes sein wollte. Er hatte sich irgendwie von der Menschheit zurückgezogen."

In den Seminarräumen der Universitäten Amerikas wurde Jacksons Platz in der Kulturgeschichte gewissermaßen über Nacht neu vermessen. "Er hat sich zum König des Pop ausgerufen. Das war mutig", schreibt Gerald Early, ein vielzitierter Professor für Afro-Amerika-Studien in St. Louis. Das seien bis dahin nur Weiße gewesen. Benny Goodman, König des Swing. Elvis Presley, König des Rock'n'Roll. Jackson habe sich selbst ernannt. "Vielleicht hat er sogar den Weg gebahnt für Obama - zumindest in dem Sinne, dass er als Schwarzer seinen ganz persönlichen Mythos erschaffen hat."

Heldentum und Hautfarbe

Es war aber an Jesse Jackson, die großen historischen Linien zu ziehen. Michael Jackson sei einer der wichtigsten Schwarzen Amerikas überhaupt gewesen, konstatierte der 67-Jährige. Er stehe in einer Reihe mit Jackie Robinson, dem ersten schwarzen Baseball-Star, mit Muhammad Ali, dem Jahrhundertboxer, mit James Brown, der Soullegende, oder auch mit Josephine Baker, der Ausnahmetänzerin. "Das Licht, das von diesen Koryphäen ausgegangen ist, hat die ganze Rasse erfasst, auch wenn sie selbst gar nicht politisch handeln wollten", erklärte Jackson, der ein Leben lang, seit fast einem halben Jahrhundert, Politik macht - für die Sache der Schwarzen in den USA und für sich.

In jungen Jahren begleitete er den großen Führer der Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King. Er war dabei, als King 1968 in Memphis ermordet wurde. In den achtziger Jahren avancierte er selbst zu einem Sprecher der schwarzen Bürgerrechtler und bewarb sich zweimal vergeblich um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten. Nie scheute er das Scheinwerferlicht. Insofern dürfte es nun nicht ganz überraschen, wenn er als Sprecher der Familie Michael Jacksons sich genau darin wieder findet. Zumal die Jacksons alte Bekannte sind: Joe Jackson zog seine musikalischen Kinder in Gary groß, einem Industrievorort am Rand der South Side Chicagos. Dort ist Jesse Jackson zu Hause.

In Chicago gab Jesse Jackson nach seiner Rückkehr von der trauernden Familie in Los Angeles am Wochenende ein langes Interview. "Es ist nicht normal", sagte er über die letzten Stunden Michael Jacksons und heizte noch einmal kräftig die Spekulationen an. "Wir wissen nicht, was passiert ist. Alle berechtigten Zweifel müssen erörtert werden."

© SZ vom 30.6.2009/abis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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