Luftfahrt:Adieu, Traum vom Fliegen!

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Die Lufthansa hat die Bobby-Boeing ausgemustert. Vorbei die Zeiten, als Flugzeuge Kosenamen trugen. Heute prägen Billig-Airlines den Markt, Sitzplätze sind Quetschplätze - und der Tomatensaft kostet extra.

Von Gerhard Matzig

Am Flughafen Tegel in Berlin kann man sich für das große Abenteuer entscheiden, also für Adrenalin, Pfeffer, den Überflieger. In einem Wort: für das Auto. In diesem Fall muss man die Fluggastbrücke - ein Wort, an dem Loriot Freude hatte - kurz vor dem Betreten des Flugzeugs wieder Richtung Flughafen, genauer: Richtung Autovermietung verlassen. Oder aber man entscheidet sich statt für das große Abenteuer für das große Übel, also für eine kleine Flugreise, und wählt statt Adrenalin das Kerosin. Statt Pfeffer gibt's Tomatensaft. Und statt des Überfliegers nur den, hm, Flieger.

In diesem Fall betritt man ihn auch gleich über die Fluggastbrücke, nämlich jenen Flieger nach München, in dem man gleich auf loriothafte Weise um seine Existenz kämpfen wird. Um Raum für den Ellenbogen. Um Platz für das Handgepäck, den Mantel, die Beine, die Zeitung. Oder um jene Individualdistanz, die einen davor bewahren könnte, in den nächsten 75 Minuten eingehend mit dem seborrhoischen Ekzem der Vordermann-Kopfhaut befasst zu werden.

Was kann man außer Tomatensaft eigentlich noch weglassen? Die Flügel?

Fliegen ist kein Spaß - und die Autovermietung Sixt, die für ihre boshaften Werbebotschaften bekannt ist, macht einem das per Plakatkampagne in Tegel deutlich. Tomatensaft? Gibt's im Flieger. Pfeffer aber nur im Auto - in Form von Pferdestärken. Wobei: Seit einigen Wochen wird einem bei Air Berlin auch der Tomatensaft nicht mehr gratis angeboten, sondern nur noch per "Buy-on-Board-Konzept" vertickt. Zu einem Preis, der für das juckende Kopfhautekzem verantwortlich sein könnte.

In diesem Zusammenhang machen einen auch die jüngsten Mitteilungen aus der Welt der Wolkenökonomie eher nicht glücklich. Erstens hat die Lufthansa gerade das meistverkaufte zivile Flugzeug ausgemustert, die Boeing 737. Zuletzt waren von ursprünglich 148 Maschinen dieser Baureihe, erstmals ausgeliefert 1968 und im Pilotenjargon liebevoll "Bobby" genannt, noch sechs Stück im Dienst. Nicht als Überflieger, aber immerhin. Doch die größte deutsche Airline setzt schon seit langer Zeit auf das Konkurrenzmodell von Airbus, auf den A320. Darin wurde der Abstand der Sitzreihen im Laufe der letzten Jahre in den Nanobereich verschoben. Das heißt: Darin wird man nicht mehr von A nach B geflogen, man wird von A nach B entmaterialisiert, gequetscht und auch sonst in jeder nur denkbaren Weise räumlich gedemütigt. Was einen direkt zur zweiten aktuellen Nachricht führt: Die irische Billigfluggesellschaft Ryanair greift Lufthansa künftig mit Flügen ab Frankfurt an. Weshalb die Lufthansa mit eigenen Billigfliegern droht. Und Air Berlin kämpft aktuell ums Überleben, weshalb auch diese Airline noch billiger werden soll. Was kann man eigentlich außer Tomatensaft noch weglassen? Die Flügel?

In den 1970er-Jahren trug man die Pan-Am-Tasche mit Stolz, man war ja so weltläufig

Das Fliegen war für den Luftfahrtpionier Otto Lilienthal, nach dem übrigens der Flughafen Tegel benannt ist, noch "deines Schöpfers Wille". Man sei nicht dem Staube geweiht, sondern müsse diesem entfliehen. Anmutig auf den Flügeln der Freiheit. Es waren unter anderem die frühen 737er, mit denen sich das erstmals für ein breites Publikum realisieren ließ. Das Fliegen war nun nicht mehr eine exzentrische Angelegenheit - es wurde massenkompatibel. Wie eigentlich alles aber, was immer weniger kostet (den Menschen und nicht, beispielsweise, die Umwelt), wurde das Fliegen nun auch immer weniger wert. Tatsächlich ist es nun wie Busfahren.

Wie war das herrlich, als die Pan-Am-Tasche der Siebzigerjahre noch als Ausweis souveräner Weltläufigkeit taugte. Als der Drei-Wetter-Taft-Clip der Achtzigerjahre (Hamburg, acht Uhr 30, wieder mal Regen - Zwischenstopp in München, ziemlich windig - Weiterflug nach Rom, die Sonne brennt ... ) zum biografischen Sehnsuchtsmodell wurde. Wie war das schön, als Flughäfen noch magische Räume der Transformation waren - und keine Shoppingmalls der Duty-free-Verlegenheitskäufe.

Die Piloten der Lufthansa werden übrigens auch darin geschult, wie man aggressive Passagiere fesselt. Offenbar drehen mittlerweile immer mehr Fluggäste durch. Das wirft Fragen auf. Erstens: Haben auch die Piloten von Air Berlin Fesseln - oder kostet das extra? Zweitens: Wäre man als Fluggast nicht deutlich entspannter und weniger aggressiv, befände man sich an Bord nicht ständig im Kampf um Quadratmillimeter? Und wären, drittens, nicht auch die Airlines entspannter, müssten sie uns den Traum vom Fliegen nicht ständig so sehr verbilligen, dass daraus ein Loriot-Sketch wird? Die Antwort, mein Freund, kennt nur der Wind. Und natürlich das Billigflieger-Portal im Internet.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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