Die Gentrifizierung öffnet die Tür zu einer Altbauwohnung im Berliner Stadtteil Friedrichshain. "So leben die bösen Reichen", sagt Birgit Kirschbaum und lacht: drei Zimmer, unsaniert, Risse im Putz. Seit zwölf Jahren wohnt Kirschbaum, die eigentlich anders heißt, in diesem Viertel. Die Wohnung ist längst zu klein für vier Leute. Kirschbaum und ihr Mann suchten daher eine neue Unterkunft in dem Kiez, in dem ihre Kinder in die Kita und zur Schule gehen. Als die beiden zur Miete nichts fanden, kratzten sie die Ersparnisse zusammen, ließen sich ihr Erbe auszahlen und traten einer Baugruppe bei. Damit fing der Ärger an.
Denn das Grundstück, auf dem gerade die neue Wohnung der Kirschbaums entsteht, liegt in der Rigaer Straße. Und die gilt als das Zentrum der linksautonomen Szene in Berlin: feministische und antirassistische Hausprojekte in ehemals besetzten Häusern, Punk-Kneipen, Kioske und natürlich Graffiti an den Wänden: "Stop Gentrification!" Gentrifizierung, dafür stehen für viele Bewohner hier Leute wie die Kirschbaums, "die bösen Reichen" in den Neubauten. Die bekamen die Ablehnung nicht nur über provokante Schriftzüge an den Fassaden zu spüren. Unbekannte brachen nachts in ihre Baustelle ein, zerkratzten die Fensterscheiben der halb fertigen Wohnungen und besprühten sie mit Farbe.
Ein Polizeieinsatz in der Rigaer Straße in Berlin.
(Foto: dpa)"Willkommen im Gefahrengebiet"
In einer Nacht flogen in einen anderen Wohnblock der Anlage, in dem bereits Menschen wohnten, sogar Geschosse an ein hell erleuchtetes Kinderzimmerfenster. Bis heute sieht man dort die Einschlaglöcher, die Besitzer der Wohnung haben sie weiß umringelt und daneben geschrieben: "Hier wohnt ein Kind." Beinahe wöchentlich brennen in der Straße Autos. Die Polizei hat den Kiez als "kriminalitätsbelasteten Ort" eingestuft, was bedeutet: Sie kann anlasslos Passanten kontrollieren. "Willkommen im Gefahrengebiet", steht an Fassaden der Häuser. An anderen hängen Protestplakate gegen die Polizei.
Die Auseinandersetzungen, die sich Polizei und Anwohner liefern, werden immer heftiger. Höhepunkt war ein Einsatz am 13. Januar, bei dem 550 Polizisten in die Rigaer Straße 94, eines der Hausprojekte, eindrangen. Kurz zuvor war der Polizei zufolge ein Streifenbeamter auf der Rigaer Straße angegriffen worden - eine Darstellung, der die Einwohner widersprachen.
Über diesen Einsatz ärgern sich Lucas, 29, Nicole, 35, und Klara, 25, heute noch. Die drei, die nur ihren Vornamen nennen wollen, leben in linken Hausprojekten - Lucas in der "Rigaer 94", Klara in der queer-feministischen "Liebig 34" und Nicole in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte. Die drei glauben, dass Hausprojekte und andere weniger finanzkräftige Bewohner vergrault werden sollen. Wenn nötig, mit staatlicher Gewalt. "Die Polizei tritt in ganz Berlin sehr respektlos auf", sagt Nicole. Die Kontrollen in Friedrichshain hätten sich nach einem Straßenfest im vergangenen Jahr massiv verstärkt. Die Vermutung der drei Linken: "Die Polizei will nicht, dass sich der Kiez vernetzt."
Viele Berliner fürchten Verdrängung und steigende Mieten
Geschosse trafen dieses Kinderzimmer in der Rigaer Straße in Berlin.
(Foto: Hannah Beitzer)Ähnliches lasse sich im Rest von Berlin beobachten. "Es ist eine politische Strategie, investitionsstarke Menschen und Unternehmen in die Kieze zu locken. Der Rest der Leute ist dabei egal", sagt Lucas. "Gefahrengebiete entstehen heute überall dort, wo die Umgebung und die Leute nicht in das Bild einer sauberen Stadt passen", ergänzt Klara. Sei es nun in der Rigaer Straße, am Görlitzer Park, wo die Stadt einen langen, vergeblichen Kampf gegen Drogendealer führt, oder in der Ohlauer Straße im Stadtteil Kreuzberg, wo Flüchtlinge eine Schule besetzt halten.
Mit einem haben Karla, Nicole und Lucas zweifellos recht: Berlin ist in den vergangenen Jahren teurer geworden und schicker, die Mieten steigen, die Immobilienpreise ebenfalls. Der Wohnraum innerhalb des S-Bahn-Rings wird knapp. In die Innenstadt-Kieze ziehen immer mehr Menschen wie Familie Kirschbaum: mit doppeltem Einkommen, kreativen, aber ordentlich bezahlten Jobs und dem Wunsch nach einer ruhigen Wohnung für die Familie. Mit ihnen kommen Investoren, Cafés, Restaurants, Feinkostläden.
Für die linke Szene in Berlin geht es nicht mehr darum, Räume in Besitz zu nehmen. Sondern sich in den einmal in Besitz genommenen Räumen zu halten. Um sie herum werden Brachflächen bebaut, Häuser saniert und verkauft. Echte besetzte Häuser gibt es längst nicht mehr in Berlin, die linken Projekte haben inzwischen alle Mietverträge. Aus den Hausbesetzern von einst sind Hausverteidiger geworden.