Kriminalität:Wenn Polizisten auf Hells Angels machen

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Mein Bier, mein Revier! Das ist das Logo, das sich die Beamten an die Kutten hefteten. (Foto: oh)

Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz gründet einen Rockerklub, um leichter im Milieu ermitteln zu können. Die Mitglieder konnten offenbar nicht mal Motorradfahren.

Von Reiko Pinkert

Der Kampf gegen die Rockerkriminalität ist zäh. Die Szene ist so brutal wie verschwiegen, auch in Deutschland. Wenn die Ermittler langfristig erfolgreich sein wollen, müssen sie kreativ sein. Wie kreativ manche Einheiten schon heute vorgehen, haben nun Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung ergeben.

Demnach griffen die Beamten des Landeskriminalamts (LKA) Rheinland-Pfalz bei ihren Ermittlungen gegen ein Hells-Angels-Charter in Bonn tief in die Trickkiste: Sie gründeten einen eigenen Motorradklub - "Schnelles Helles". Die verdeckten Ermittler gaben vor, im Territorium der Hells Angels eine neue Konkurrenz zu sein. Das LKA wollte herausfinden, ob die Bonner Rocker die Neugründung einer Motorradgang in ihrem Einflussbereich dulden würden. Die Ermittler brachen dabei absichtlich ein ungeschriebenes Gesetz der Szene. Bei ihrem Namen, bei den Farben ihres Clubs und beim Schriftzug lehnten sie sich eng an das berühmte Design der Hells Angels an. Kann so etwas gut gehen? Der Reihe nach.

Der Ermittler taten alles, um aufzufallen. Sie hinterließen sogar Bierdeckel mit ihrem Logo

Im Juli 2013 erreichte das LKA Rheinland-Pfalz ein anonymes Schreiben. Die Hells Angels Bonn zögen von Krieg zu Krieg und verprügelten Mitglieder anderer Motorradklubs. Wenn nichts passiere, dann werde jemand sterben, warnte der anonyme Informant eindringlich. Rund zweieinhalb Jahre später stehen die Mitglieder der Hells Angels Bonn nun vor dem Landgericht Koblenz. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen die Bildung einer kriminellen Vereinigung, schwere Körperverletzung, räuberische Erpressung und Verstöße gegen das Waffengesetz vor.

Laut Anklage sollen sich die Mitglieder zusammengeschlossen haben, um ihre Herrschaft im Revier gewaltsam durchzusetzen. Im Club hätten eine strenge Hierarchie und Schweigepflicht geherrscht. Rocker anderer Vereinigungen seien von den Hells Angels unter anderem mit GPS-Sendern ausgespäht und anschließend zusammengeschlagen worden.

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Noch während des laufenden Verfahrens verbot das Innenministerium Rheinland-Pfalz das Charter, es laufe "der verfassungsmäßigen Ordnung zuwider". Die Verfügung vom März untersagt auch das Tragen der charakteristischen "Kutten", der Lederwesten, die als Identitätsmerkmal dienen. Der Prozess läuft unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Von den angesetzten 14 Prozesstagen sind bereits zwölf verhandelt worden.

Ungewöhnlich für einen Rockerprozess sind dabei gleich mehrere Dinge. So kooperieren zwei der Angeschuldigten dem eisernen Schweigegelübde der Szene zum Trotz mit den Ermittlungsbehörden. Sie räumten ein, bei Strafaktionen gegen andere Clubs selbst zugeschlagen zu haben, und sie belasteten mit ihren Aussagen die übrigen Angeklagten. Die zweite Besonderheit betrifft die Ermittler - und ihren getürkten Rockerclub.

Bierdeckel mit Logo und Kutten vom Profi

Wie sich nun herausgestellt hat, taten die Mitglieder von "Schnelles Helles" alles, um die Hells Angels auf sich aufmerksam zu machen. Sie bestellten ihre Kutten beim Leibschneider der Hells Angels. Sie präsentierten ihr Logo in Motorradwerkstätten und in Biker-Kneipen. Sie hinterließen sogar Bierdeckel mit ihrem Logo. Mitunter wurden die Ermittler angesprochen: Das sei doch "Engelsschrift", ob sie die Hells Angels ernsthaft provozieren wollten?

Die Bedenken taten die Männer ab - und erzählten stattdessen herum, wann und wo sie sich das nächste Mal treffen würden. "Ja, nächsten Samstag, 19 Uhr in der Biker-Kneipe Neu-Isenburg." Die sieben Polizisten - "ziemliche Kleiderschränke", wie der Wirt später sagte, warteten als Biker getarnt auf die Hells Angels. Nicht nur einmal. Die "Schnelles Helles"-Truppe kehrte mehrmals in der Kneipe ein, stets in der Hoffnung, dort auf die Rocker zu treffen.

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Man habe à la carte gegessen und Bier getrunken, steht nachher im Protokoll eines solchen Einsatzes. Als Erklärung für ihre ortsfremden Dialekte sagten die angeblichen Biker, dass die Frau eines Mitglieds gerade erst in die Gegend gezogen sei. Sie habe wohl aus dem Osten der Republik gestammt, erinnert sich der Wirt. Ihr Freund habe angegeben, er sei Bayer und renoviere gerade die neue Wohnung. Eine Bedienung hörte das Gespräch mit und stellte fest, dass die angeblichen Biker in Wahrheit im Nachbarort wohnten. Nur die Betriebsamkeit der Kneipe verhinderte weitere Nachfragen.

Die Ermittler sicherten sich unterdessen nach allen Seiten ab. Auch vorm Lokal waren Kräfte postiert, die den Kollegen beim Essen zuguckten. Nach erfolgtem Einsatz wurden die Undercover-Polizisten jedes Mal mit einem Kleinbus abgeholt und in ihr Hotel gefahren. Motorradfahren konnten sie offenbar nicht.

Einziges Problem: Die echten Rocker reagierten nicht wie gewünscht. Als die Hells Angels eines Tages tatsächlich in der Kneipe erschienen, baten sie den Wirt nur, den Leuten von "Schnelles Helles" auszurichten, sie mögen doch bitte Farbe und Schrifttyp ändern. Das sei ihr Logo. Das Gespräch verlief dem Wirt zufolge entspannt und ohne jede Aggressivität.

Welche Rolle "Schnelles Helles" letztlich im Prozess in Koblenz spielen wird, ist noch nicht abzusehen. Fast 50-mal wurde die Truppe in der Anklageschrift erwähnt, doch noch sind die Erkenntnisse aus ihrem verdeckten Einsatz nicht verhandelt worden. Die häufige Erwähnung der Undercover-Biker deutet jedoch darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft dem Einsatz eine gewisse Bedeutung beimisst.

Er war und ist nicht unriskant. Der Bundesgerichtshof verschärfte erst 2015 den Umgang mit polizeilichen Lockspitzeln in Strafverfahren. Sollte der Staat als "agent provocateur" aufgetreten sein, also Angeklagte zum Rechtsbruch angestiftet haben, kann dies zur Einstellung des Verfahrens führen.

Eine Reaktion der Hells Angels provozieren: Das wollten die Ermittler zweifelsohne. Der Präsident des nun angeklagten Charters, Karl-Heinz B., stand bereits 2010 vor Gericht. Er erschoss einen SEK-Mann, als dieser versuchte, B.s Wohnung im rheinland-pfälzischen Anhausen zu durchsuchen.

Erstinstanzlich wurde er im Februar 2011 zu neun Jahren Haft verurteilt, doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf, er wertete die Tat als Notwehr. Die Polizisten hätten sich nicht zu erkennen gegeben, B. habe nicht wissen können, wer da versuchte, ins Haus einzudringen. Die Waffe besaß er als Sportschütze legal. Nach Aufhebung des Urteils wurde Karl-Heinz B. im November 2011 freigelassen.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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