Kriminalität:Sofia ist tot

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Vor dem Wohnblock in Hamburg haben Trauernde Kerzen und Kuscheltiere abgelegt. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

In Hamburg wird eine Zweijährige erstochen. Ihr Vater steht unter Verdacht. Er hatte sich mit der Mutter gestritten.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Ein trister Wohnblock im Südwesten von Hamburg, zwei Stockwerke, Typ Plattenbau. Neugraben-Fischbek, eine sozialschwache Gegend und nun Schauplatz einer Tragödie mit vielen Fragen.

Hat ein Mann aus einem fernen Land hier tatsächlich sein eigenes Kind ermordet, obwohl er Deutschland längst hätte verlassen müssen? So sieht es aus, aber warum konnte das alles geschehen? Wäre dieser Mord verhindert worden, wenn die Behörden früher entschiedener eingeschritten wären?

Am Montagabend schoben Bestatter eine Trage mit einem leblosen Körper aus dem Gebäude, unter einer weinroten Schutzplane lag die Leiche der zwei Jahre alten Sofia. Kurz zuvor hatte die Polizei sie in der Wohnung entdeckt, mit tödlichen Schnittwunden am Hals. Jetzt liegen Grabkerzen, Blumen und Kuscheltiere an dem schlichten Eingang, die Tür zum Tatort ist versiegelt. Als Täter gilt der Vater.

Bevor das Mädchen starb, soll Sohail A. mit seiner Frau gestritten haben

Noch am Mittwoch wurde nach Sohail A. gefahndet. Polizisten waren sofort auch mit Hunden zum Hamburger Hauptbahnhof ausgerückt, zunächst ohne Erfolg. Es heißt, der 33 Jahre alte Pakistaner habe seine Tochter getötet. Vorausgegangen sei ein Streit mit seiner Frau. Die 32-jährige Lubna A. hatte sich am Montagabend zum wiederholten Mal an die Polizei gewandt, sie sei erneut bedroht worden. Ihren sechs Jahre alten Sohn aus einer anderen Beziehung hatte sie vorsichtshalber zu Verwandten gebracht. Beamte fuhren also zu dem Mehrfamilienhaus, um Sohail A. wieder aus dem Apartment zu verweisen. Sie fanden das tote Mädchen, die Mutter steht unter Schock.

Die Einzelheiten des Verbrechens sind längst nicht geklärt, der Verdächtige war bis zuletzt ja flüchtig. Doch was in erster Linie nach einem entsetzlichen Krimi klingt, scheint auch eine komplizierte Geschichte über einen tragischen Grenzfall von Ausländerrecht und Sozialamt zu sein.

Sohail A. aus Pakistan hatte Ende 2011 in Hessen Asyl beantragt, aber nicht bekommen. Der Antrag wurde Anfang 2012 abgelehnt, ab Sommer 2012 hätte der Bewerber demnach ausreisen müssen. Stattdessen wurde er geduldet - er behauptete, seinen Pass verloren zu haben. Er lernte Luba A. kennen, die beiden heirateten nach islamischem Recht. Nach der Geburt der Tochter Sofia zog Sohail A. im Januar 2016 offiziell nach Hamburg und bemühte sich in der Hansestadt um eine Aufenthaltsgenehmigung, als Argument diente seine veränderte Gesamtsituation.

Auch dieser Vorstoß misslang, nach der Absage legte dann sein Anwalt Einspruch ein. Mit einem Eilantrag erwirkte der Jurist ein Verfahren, das Sohail A. aus familiären Gründen die Abschiebung ersparte, solange der Rechtsspruch nicht feststeht. Seinen Pass hatte er unterdessen zwar vorgelegt. Aber so schnell und ohne Papiere habe man ihn nicht abschieben können, sagt ein Sprecher des Hamburger Einwohnerzentralamts am Mittwoch.

Das Jugendamt kannte die Familie seit Jahren. Zuletzt habe man sie intensiver betreut

Das Harburger Jugendamt kannte die Familie seit 2012 und habe sie seit September 2016 intensiv betreut, mehrere Stunden pro Woche, berichtet Bettina Maak, Sprecherin des zuständigen Bezirksamtes Harburg. "Sie können davon ausgehen, dass es Schutzkonzepte für häusliche Gewalt gibt." In Obhut genommen wurden die Kinder nicht - die Voraussetzungen für so einen Eingriff ins Privatleben seien nicht erreicht gewesen. Die Polizei wurde von Lubna A. allerdings mehrfach alarmiert, sie erstattete auch Anzeigen: Sohail A. soll sie geschlagen und bedroht haben, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Drohungen und sogar wegen Körperverletzung seines Stiefsohns. Sohail A. wurde einmal aus der Wohnung verwiesen, Lubna A. ließ ihn dennoch wieder nach Hause zurück kehren. Die Behörden gingen zu spät dazwischen. Jetzt ist Sofia A. tot, daheim erstochen.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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