Kriminalität:Analyse: Merkel und die Gewalt von Köln

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Kanzlerin Merkel über die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht: „Es sind widerwärtige, kriminelle Taten, (...) die Deutschland nicht hinnehmen wird.“ (Foto: Michael Kappeler)

Berlin/Kreuth (dpa) - Angela Merkel neigt nicht zu Einblicken in ihr Gefühlsleben. Doch in der emotional aufgeladenen Debatte über die Geschehnisse von Köln greift die Kanzlerin zu ungewöhnlichen Worten.

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Berlin/Kreuth (dpa) - Angela Merkel neigt nicht zu Einblicken in ihr Gefühlsleben. Doch in der emotional aufgeladenen Debatte über die Geschehnisse von Köln greift die Kanzlerin zu ungewöhnlichen Worten.

Wenn sich Frauen schutzlos und ausgeliefert fühlten, sei das auch für sie „persönlich unerträglich“, sagt Merkel im Kanzleramt. Sie hat dort den rumänischen Ministerpräsidenten Dacian Ciolos zu Gast. Eigentlich wäre Europa das große Thema. Doch Merkel nimmt sich viel Zeit, um auf das einzugehen, was seit Tagen die Republik umtreibt. Der Druck auf sie ist groß.

In der Silvesternacht tobten enthemmte Männergruppen vor dem Kölner Hauptbahnhof. So zumindest berichten es Polizisten, Augenzeugen und Opfer. Frauen wurden sexuell belästigt, begrapscht, beschimpft, beklaut und gedemütigt. Wie viele genau, ist noch nicht klar. Nach und nach gehen weitere Anzeigen ein. Auch über die Täter weiß die Polizei noch immer nicht viel - nur dass der Großteil arabischer oder nordafrikanischer Herkunft sein soll.

Seit jener Nacht entlädt sich in den sozialen Netzwerken jede Menge Hass gegen Ausländer und Flüchtlinge - und auch gegen die Kanzlerin. Schließlich habe Merkel massenhaft Asylbewerber nach Deutschland eingeladen, schimpfen Menschen im Internet. Die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung und die rechtskonservative AfD sehen ohnehin ihre Zeit gekommen und werten die Vorfälle in Köln als Beleg für die nach ihrer Sicht verfehlte Asylpolitik der offenen Arme.

Anderswo auf der Welt gerät Köln ebenfalls in die Schlagzeilen. Ausländische Medien stellen die Geschehnisse dort in Verbindung mit der Asyldebatte und sehen Merkel mit ihrem Flüchtlingskurs in Bedrängnis. Aber auch in der eigenen Koalition, wo Merkel ohnehin schwer zu kämpfen hat, ihre Linie in der Asylpolitik durchzusetzen, rumort es.

Obwohl die Hintergründe der Kölner Ausschreitungen noch alles andere als geklärt sind, wagen sich Unions-Leute weit vor. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte schon am Dienstag die sofortige Abschiebung von Flüchtlingen, die Frauen sexuell belästigen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der zunächst noch zu Besonnenheit aufgerufen hatte, zog einen Tag später nach und brachte ins Gespräch, die Vorgaben für die Abschiebung straffälliger Asylbewerber zu verschärfen. Inzwischen reihen sich weitere Unionisten ein. Dabei ist nicht bewiesen, ob überhaupt ein Asylbewerber unter den Tätern ist.

Die Christsozialen bedrängen die Kanzlerin seit Wochen, eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme einzuziehen - und sie tun dies auch bei Merkels Besuch der CSU-Klausurtagung im bayerischen Wildbad Kreuth. Hinter verschlossenen Türen gibt es dort scharfe Auseinandersetzungen. Mit Mutmaßungen zu Köln halten sich die CSU-Leute in Kreuth aber zurück - allerdings auch nur nach außen.

Hinter den Kulissen wettern CSU-Politiker, Köln zeige, dass Merkel das Land kaputtmache. Die Bürger - die Wähler - würden darauf reagieren: Die rechtspopulistische AfD könnte bei der Bundestagswahl 2017 ein zweistelliges Ergebnis bekommen - und die CSU bei der Landtagswahl 2018 ihre absolute Mehrheit verlieren. Genau das treibt die Christsozialen an und um: ihre Macht in Bayern und ein möglicher Verlust. Um eine Niederlage zu verhindern, wären sie zum Bruch mit Merkel bereit, wird in Kreuth kolportiert. Aber wollen tue es keiner.

Die Übergriffe in Köln fallen in schwierige Zeiten. Die Stimmung im Land ist wegen der Flüchtlingskrise angespannt, das Klima fragil, die Verunsicherung groß. Die Kölner Exzesse könnten für Merkel politisch gefährlich werden. „Das ist genau das Wasser auf die Mühlen der Falschen“, heißt es unter Anhängern ihrer Willkommenskultur. Die Vorfälle seien gar nicht ernst genug zu nehmen. Merkel komme jetzt an einen ganz kritischen Punkt. Denn die Menschen hätten völlig zu Recht das Grundbedürfnis, im eigenen Land, in der eigenen Stadt sicher zu sein. Dafür müssten Staat und Polizei sorgen.

Und so richtet sich Merkel bei ihrem Auftritt im Kanzleramt an Bürger mit eben solchen Sorgen. „Was in der Silvesternacht passiert ist, das ist völlig inakzeptabel“, sagt sie. „Es sind widerwärtige, kriminelle Taten, (...) die Deutschland nicht hinnehmen wird.“ Und sie stellt Konsequenzen in Aussicht: Über die Grundlagen des kulturellen Zusammenlebens in Deutschland sei zu reden, über die Polizeipräsenz und möglicherweise auch über schärfere Ausweisungsregeln für straffällige Ausländer.

„Was die Menschen mit Recht erwarten, ist, dass diesen Worten dann Taten folgen“, sagt Merkel. Der Staat sei in der Pflicht, die richtigen Antworten zu finden. Und es seien „auch klare Zeichen zu setzen an diejenigen, die nicht gewillt sind, unsere Rechtsordnung einzuhalten“. Dies ist auch eine Botschaft an die Unruhigen und Unzufriedenen in den eigenen Reihen. Die Frage ist, ob sie ausreicht.

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