Kölner Stadtarchiv:Unschätzbares unter einem Berg von Geröll

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Das Historische Archiv der Stadt Köln ist einer der bedeutendsten Horte europäischer Stadt- und Kulturgeschichte - fraglich ist, was noch gerettet werden kann.

Stefan Koldehoff

Klar ist eigentlich nur, dass noch lange nicht klar sein wird, was Köln verloren hat. Georg Quander, der Kulturdezernent der Stadt, befürchtet, der Schaden könne noch größer sein als beim Brand in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek, bei dem 2004 mehr als 50.000 Bücher verbrannten. Der Kulturstaatssekretär des Landes, der Christdemokrat Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, hingegen hat die Hoffnung, dass viele der weltberühmten historischen Urkunden aus den Trümmern gerettet werden könnten.

Feuerwehrleute bergen Akten aus dem Keller des Archivs. (Foto: Foto: ddp)

Etwa zwanzig Archivare und Restauratoren sind nach Grosse-Brockhoffs Worten schon dabei, die Archivalien zu bergen. Und etwa hundert Helfer waren unter Anleitung der Mitarbeiter des Archivs die ganze Nacht damit beschäftigt, Dokumente aus dem hinteren unversehrten Teil des Gebäudes in Sicherheit zu bringen. "Aber alles aus dem vorderen Teil des Gebäudes ist unter dem Schutt begraben", sagt Kulturdezernent Quander. Und er macht eine Rechnung auf: "Der Versicherungswert liegt bei 400 Millionen Euro, aber der finanzielle Verlust steht in keinem Verhältnis zum geistigen Verlust."

Mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln ist einer der bedeutendsten Horte europäischer Stadt-, Politik-, Rechts- und Kulturgeschichte in einem Berg von Geröll untergegangen - das "Gedächtnis einer der ältesten bürgerlichen Gemeinschaften der Welt", wie es der langjährige Archivmitarbeiter Eberhard Illner formuliert hat.

Seit Anfang des 15. Jahrhunderts ist hier systematisch gesammelt worden, was der Nachwelt erhalten bleiben soll. Aus dem Jahr 1408/09 stammt das älteste Findbuch, das stolz eine goldene Krone ziert und in dem die eigenen Bestände verzeichnet wurden. Das älteste Dokument - die Übereignung eines Klosters durch den Erzbischof an eine Äbtissin - ist auf den 11. August des Jahres 922 datiert. Verschiedene Historiker halten die Urkunde allerdings inzwischen für eine Fälschung.

In sechs oberirdischen Magazinetagen wurden die Schätze aufbewahrt. Für mehr als ein Kellergeschoss, wie anderswo üblich, taugte der Boden am Waidmarkt nicht. Bevor sich die Stadt ausdehnte, verlief hier das Rheinufer. Der Kiesboden, den es hinterließ, konnte kein tiefes Fundament aufnehmen. Gerade das allerdings ließ das 1971 fertiggestellte Gebäude des Architekten Hugo Stehkämper zum bundesweiten Modell werden: "Natürliche Klimatisierung" hieß das Zauberwort - Frischluft statt Klimaanlagen. 15 bis 18 Grad bekamen auf diese Weise die mittelalterlichen Handschriften in der dritten und vierten Etage bei 55 Prozent Luftfeuchtigkeit, offenbar optimale Bedingungen.

Ein Gang durch das Kölner Archivhaus glich, hatte man einmal die funktionalen Eingangsräume hinter sich gelassen, dem Einstieg in eine andere Welt, wie sie Umberto Eco in seinem Roman "Der Name der Rose" verewigt hat. Zwar fiel in Köln die Architektur deutlich nüchterner aus. Der Geruch nach altem Papier und das Knistern der Pergamente führte, wenn man kurz die Augen schloss, trotzdem für Sekunden in ein mittelalterliches Kloster.

Die schmalen Fensterschlitze ließen kaum Licht und keine Geräusche ins Innere. In einer Regalanlage, die aneinandergereiht mehr als 13 Kilometer Länge ergeben hätte, und in feuerfesten Stahlschränken lagerten in Ordnern und Archivschachteln die Bestände. Zu sehen gab es im nun zerstörten Magazinhaus nur dann etwas, wenn man in Begleitung eines kundigen Archivars war, der wusste, wo man suchen musste. Dann öffneten sich die grauen Pappkartons, und heraus kamen handschriftliche Briefe, Manuskripte und Konzepte, die bedeutende Künstler der Fluxus-Bewegung dem Kölnischen Kunstverein hinterlassen hatten. Das Archiv wurde hier ebenso von der Stadt verwaltet wie unveröffentlichte Manuskripte und die private Korrespondenz von Heinrich Böll oder der Nachlass des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer.

Das Historische Archiv der Stadt Köln war eine Forschungseinrichtung, kein Museum. Im Erdgeschoss fanden regelmäßig Ausstellungen statt. Die wertvollsten Stücke der Sammlung sind Ratsprotokolle aus dem 14. Jahrhundert, die sogenannten "Schreinsurkunden", die Liegenschaftsgeschäfte notierten und bis ins 19. Jahrhundert in den Dokumententruhen der Kirchspiele aufbewahrt wurden. Oder die Nachlässe von Jan van Werth, Jacques Offenbach und Wilhelm Marx. Natürlich auch die Büroregistratur aus Konrad Adenauers Zeit als Kölner Oberbürgermeister. Sie allerdings blieben so lange im Depot, bis sie jemand einsehen wollte.

© SZ vom 5. 3.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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