Köln nach dem Stadtarchiv-Unglück:Das große Wegducken

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Noch steht das Schicksal zweier vermisster jungen Männer im Vordergrund: Nach dem Einsturz des Stadtarchivs stellt sich in Köln schon bald die Frage nach der politischen Verantwortung.

D. Graalmann, Köln

Zwei Tage nach dem Zusammenbruch des Kölner Stadtarchivs stellte Konstantin Neven DuMont, Junior der mächtigen Verlegerdynastie, eine bemerkenswerte Frage: "Ist diese Tragödie typisch für Köln?", schrieb der 39-Jährige im Online-Forum des hauseigenen Kölner Stadt-Anzeigers. Die jüngsten kommunalen Skandale, so der Herausgeber, hätten "das Vertrauen in die Stadtspitze schon nachhaltig gestört".

Erschüttert: Der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) muss sich wohl bald mit der Frage beschäftigen, ob der Einsturz des Stadtarchivs auch politische Konsequenzen haben wird. Am Mittwoch hatte Schramma den Bau einer U-Bahn durch dichtbesiedeltes Gebiet als "fast unverantwortlich" bezeichnet, dann ruderte er zurück. (Foto: Foto: dpa)

Mit der Katastrophe vom Dienstag, schrieb Neven DuMont, "kommt auch noch eine Steigerung des Missmanagements hinzu, nämlich die Gefahr für Leib und Leben. Den Sicherheitsaspekt haben die beteiligten Personen und Firmen offensichtlich nicht im Griff." Er sei "wirklich gespannt, welche Schlüsse wir aus dem Desaster ziehen". Er befürchtet offenbar, dass diese Konsequenzen ausbleiben. Er habe, sagte der 39-Jährige der Süddeutschen Zeitung, "den Eindruck, dass jetzt jeder versucht, sich wegzuducken und seine Verantwortung weiterzureichen."

Die Frage einer etwaigen politischen Verantwortung, die sonst bei derartigen Tragödien unverzüglich debattiert wird, verschweigt man in Köln an vielen Stellen derzeit dezent.

Noch steht das Schicksal der weiterhin vermissten jungen Männer, das des 23- jährigen Khalil G. sowie offenbar des 17-jährigen Kevin K., im Vordergrund. Beide wohnten im Dachgeschoss des angrenzenden Hauses. Die Suche nach den Vermissten sollte wegen des zuvor notwendigen Abrisses der einsturzgefährdeten Nachbarhäuser frühestens am Donnerstagabend beginnen. Derweil musste am Donnerstag auch ein gegenüberliegendes Gymnasium wegen akuter Einsturzgefahr mit "massiver Holzkonstruktion durchgestützt werden", wie Feuerwehrdirektor Stephan Neuhoff sagte.

Schlamperei im Untergrund

Doch hinter den notwendigen Rettungsarbeiten steht die drängende Frage, wie es zu dem Unglück kommen konnte und wer die Verantwortung für die Tragödie übernimmt. Wie konnte es geschehen, dass Wasser und Erdmassen in den Schacht eindrangen, sodass dem Stadtarchiv das Fundament genommen wurde? Wer hat wann etwas gewusst? Wurde möglicherweise bei den Arbeiten geschlampt? Kann man das Risiko des Projekts überhaupt noch tragen?

Es sind viele Fragen, auf die es derzeit noch keine verlässlichen Antworten gibt. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) mahnte bereits vor verfrühten Schlüssen. "Es hilft den Betroffenen nicht, wenn wir spekulieren, was die Ursache war", sagte Rüttgers am Donnerstag an der Unglückstelle.

Über die Konsequenzen des Unglücks aber wird bereits debattiert. Inzwischen herrscht politische Einigkeit, dass der Bau der U-Bahnlinie fertiggestellt werden soll. Am Mittwoch noch hatte Oberbürgermeister Fritz Schramma die Debatte um einen generellen Baustopp befeuert, als er den Bau einer U-Bahn durch dicht besiedeltes Gebiet als "fast unverantwortlich" bezeichnete. Am Donnerstag ruderte der CDU-Politiker zurück: Es sei klar, dass es "am Ende so ist, dass der U-Bahn-Bau fertiggestellt werden muss", sagte der OB. Auch der Sozialdemokrat Jürgen Roters, gemeinsamer Oberbürgermeisterkandidat von SPD und Grünen bei der anstehenden Kommunalwahl am 30. August, hält einen Baustopp angesichts der bereits entstandenen Kosten "für nicht akzeptabel. Jetzt zu sagen, 'wir machen Schluss', das ist ein bisschen hilflos."

Stattdessen plädieren die beiden Kontrahenten fast wortgleich für "eine temporäre Atempause". OB Schramma sagte, dass es für die betroffenen Anwohner "vor allem psychologisch wichtig" sei, dass keine weiteren Bohrungen mit massiven Erdbewegungen stattfinden. "Ich will nicht, dass die Menschen in Sorge leben müssen", so Schramma.

Die Bedenken kommen spät. Schließlich regiert Schramma schon seit neun Jahren in der Domstadt. Er war an vorderster Front dabei, als am 4. Dezember 2002 der Bau der Nord-Süd-Bahn mit einem zünftigen Fest begonnen wurde. Der Termin war von den Verantwortlichen mit Bedacht gewählt. Der 4. Dezember ist der Gedenktag der Heiligen Barbara, Schutzpatronin der Bergleute. Schramma sprach damals von "einem Meilenstein für die Kölner Infrastruktur". Die Freude über das gigantische Projekt war wohl erheblich größer als alle möglichen Bedenken. Auf allen Seiten.

Der damalige Kölner Regierungspräsident etwa sprach von "einem Signal, dass es auch in schwierigen Zeiten vorangeht." Jener Regierungspräsident war als Chef der Aufsichtsbehörde zuständig für die Erteilung des Planfestellungsbeschlusses. So erhielt Fritz Schramma die endgültige Erlaubnis zum Bau der Nord-Süd-Bahn am 4. Juni 2002 aus den Händen des damaligen Kölner Regierungspräsidenten. Sein Name: Jürgen Roters, rot-grüner OB-Kandidat.

© SZ vom 06.03.2009/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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