Klima:Dürre und Flut

Lesezeit: 4 min

Auf dem indischen Subkontinent löst eine Katastrophe die andere ab. Die jüngsten Unwetter haben wohl Hunderte Menschen das Leben gekostet, Hunderttausende sind auf der Flucht.

Von Arne Perras

Die Gemeinden im indischen Bundestaat Rajasthan sammeln derzeit Rekorde. Aber Freude darüber kommt nicht auf, sie könnten bestens auf diesen zweifelhaften Ruhm verzichten. 51 Grad Celsius. Solche Werte sind selbst für hitzeerprobte Inder eine neue Grenzerfahrung. Es heißt, die Bewohner mancher Dörfer könnten ihre Fladenbrote mittlerweile auf dem Boden backen.

Hunderte Todesopfer hat die Hitzewelle im südlichen Asien schon gefordert, vor allem im Westen, im Norden und im Zent-rum des Subkontinents. Der Staat schätzt, dass in diesem Jahr 330 Millionen Inder der Dürre ausgesetzt sind. Erst der Monsun, der im Laufe des Monats Juni erwartet wird, kann den Qualen ein Ende setzen. Doch wenn schließlich der große Regen auf das ausgedorrte Land herunterprasseln wird, lauern die nächsten Gefahren. Die schlammigen Fluten können die Menschen in den Tod reißen. Ein Extrem löst das andere ab, die Politiker verweisen auf den Klimawandel. Man schaue nur nach Sri Lanka.

In dem Inselstaat leiden die Menschen unter den schwersten Überschwemmungen seit einem Vierteljahrhundert. Mehr als 80 Leichen wurden geborgen, viel mehr Menschen werden vermisst, nachdem der Zyklon Roanu am Wochenende über das Land gefegt ist. Nach Behördenangaben sind 21 der 25 Bezirke von den Wassermassen betroffen, landesweit sind mehr als eine halbe Million Menschen auf der Flucht. Um den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern entsandte das Gesundheitsministerium Ärzte und medizinisches Personal in die am stärksten betroffenen Gebiete.

"Ich glaube nicht, dass wir noch Überlebende finden werden", sagt ein Offizieller

Allein aus der Hauptstadt Colombo flohen 200 000 der 650 000 Einwohner. Das Fernsehen zeigte schockierende Bilder: Im Viertel Kaduwela wateten Frauen durch brusthohes Wasser, nur einen Kanister oder ein paar Plastiktüten hatten sie dabei. Mehr konnten sie nicht mehr mitnehmen auf der Suche nach höher gelegenen Plätzen. Andere Bewohner retteten sich auf improvisierte Flöße oder in kleine Gummiboote. Die Aufräumarbeiten könnten erst "in ein paar Tagen" beginnen, sagte Pradeep Kodippili vom Zentrum für Katastrophenschutz am Sonntag.

Oben in den Bergen des Landes hat es vergangene Woche schon zwei schwere Erdrutsche gegeben, ein ganzer Hang hat sich nach dem Dauerregen gelöst. Aufnahmen aus einem Hubschrauber zeigen, wie sich ein dicker brauner Wurm hinunter ins Tal windet. Die Schlammlawine hat mehrere Dörfer unter sich begraben, seit Tagen bergen Helfer die Toten. 134 Menschen, darunter 37 Kinder, gelten noch als vermisst. "Ich glaube nicht, dass wir noch Überlebende finden werden", sagt der Chef der Rettungsarbeiten, Sudantha Ranasinghe, dessen Militärmannschaften sich zunehmend erschöpft durch neun Meter hohe Erdmassen graben müssen. Staatschef Maithripala Sirisena forderte seine Mitbürger auf, Bedürftigen zu helfen und sie bei sich aufzunehmen.

1 / 9
(Foto: Sam Panthaky/AFP)

Experten sprechen von der größten Krise seit Indiens Unabhängigkeit 1947: Das ausgetrocknete Flussbett des Chandola Sees in Ahmedabad.

2 / 9
(Foto: Indranil Mukherjee/AFP)

In einem Dorf südwestlich von Mumbai hat ein Tankwagen Wasser abgeliefert. 330 Millionen Menschen, schätzt die Regierung, sind von der Dürre betroffen.

3 / 9
(Foto: Roberto Schmidt/AFP)

In der Hauptstadt Delhi spielen Kinder in einem Wasserbecken im Regierungsviertel. Doch auf dem Land gibt es kaum Möglichkeiten zur Abkühlung.

4 / 9
(Foto: Roberto Schmidt/AFP)

Ein Straßenjunge in Delhi lässt sich von einem Springbrunnen beregnen. Selbst für die hitzegewohnten Inder ist dieses Jahr eine Grenzerfahrung.

5 / 9
(Foto: Mahesh Kumar A./AP)

51 Grad im Schatten werden mancherorts gemessen - in einem Park in Hyderabad ist dieser Schatten ein begehrtes Gut.

6 / 9
(Foto: Jaipal Singh/dpa)

Flüsse sind nahezu ausgetrocknet, wie der Tawi in der Stadt Jammu. Und die gesellschaftlichen Auswirklungen der Krise sind überall zu spüren.

7 / 9
(Foto: Manish Swarup/AP)

Die Bauern kämpfen ums Überleben. Und wandern in Massen in die Städte ab, weil ihre Ernten auf den Feldern verdorren.

8 / 9
(Foto: Manish Swarup/AP)

Tankzug im Bundesstaat Maharashtra: Der Druck auf die Regierung steigt. Es wird immer mühsamer, den Durst von Hunderten Millionen Indern zu stillen.

9 / 9
(Foto: Channi Anand/AP)

Vorerst bleibt nur, auf den Juni zu hoffen. Dann wird der Monsun erwartet, der mit seinen Regenfluten den Qualen ein Ende setzen kann.

Roanu zog von Sri Lanka weiter nach Bangladesch, wo sich der Tropensturm langsam abschwächte. Dennoch kamen mindestens 24 Menschen ums Leben. Zudem gebe es viele Verletzte, teilte der Katastrophenschutz des Landes am Sonntag mit. Der Wirbelsturm habe rund 25 000 Häuser vollständig zerstört, etwa 150 000 Einwohner seien obdachlos geworden. Die meisten Opfer seien arme Bauern und Fischer. Eine halbe Million Menschen wurden in Sicherheit gebracht.

Indien hat zwei Marineschiffe mit Hilfsgütern, Zelten und Medizin ins überschwemmte Sri Lanka entsandt, während im eigenen Land gegen die Dürre gekämpft wird. Der alte Hitzerekord stammt aus dem Jahr 1956 und wurde schon damals in Rajasthan gemessen, mit 50,6 Grad. Nun ist dort noch ein knappes halbes Grad dazu gekommen. Im betroffenen Ort Phalodi berichtet ein Pfleger, dass alle Klimaanlagen in der Klinik ausgefallen seien. Wasser gibt es nur noch in Tanks auf den Dächern, doch kommt es so heiß aus der Leitung, dass man sich damit nicht einmal mehr die Hände waschen kann.

Besonders auf dem Land, wo längst nicht alle Strom haben, gibt es kaum Möglichkeiten zu Abkühlung. Tanklastwagen und Züge bringen Wasser aus Flüssen, die oft mehr als 300 Kilometer entfernt liegen. Für viele Gemeinden sind solche Truck-Konvois auf Dauer kaum bezahlbar.

Die Mehrzahl der Inder beziehen ihr Wasser nicht aus Flüssen, sondern aus Brunnen. Etwa 30 Millionen haben sie im Laufe der Jahrzehnte gegraben, vielerorts ist der Grundwasserspiegel dadurch deutlich gesunken. Experten fordern, dass künftig mehr Regenwasser gesammelt werden und die Verschwendung eingedämmt werden müsse, damit sich die Reserven wieder regenerieren könnten.

Der Wassermangel in zehn von 29 indischen Bundesstaaten ist in diesem Jahr so groß, dass Hydrologen schon von der schwersten Krise seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 sprechen. Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Klimakrise sind bereits zu spüren: Farmer, deren Ernten auf den Feldern verdorren, wandern in Massen in die Städte ab; Hunderte haben Selbstmord begangen, weil sie keinen Ausweg mehr gesehen haben.

In Indien verdorren die Ernten - und die Bauern wandern in die Städte ab

Der Inselstaat Sri Lanka leidet unter den schwersten Überschwemmungen seit einem Vierteljahrhundert. Eine halbe Million Menschen ist auf der Flucht. (Foto: Ishara S. Kodikara/AFP)

Das Volk blickt in diesen Zeiten der Not auf die Politik. Die Regierung steht unter Druck, ihre Versprechen einzulösen - sie hat im Februar angekündigt, das Einkommen der Bauern bis zum Jahr 2022 verdoppeln zu wollen. Millionenhilfen sollen in Versicherungen und neue Bewässerungssysteme fließen, um Farmer vor dem Ruin zu bewahren und ihre Erträge zu erhöhen.

Besonders ehrgeizig ist das Vorhaben, 37 indische Flüsse miteinander zu vernetzen. Es ist eine Idee, die schon in den 80er-Jahren geboren wurde und die Premier Narendra Modi, der seit 2014 regiert, nun wieder vorantreibt. 168 Milliarden US-Dollar, knapp 150 Milliarden Euro, will der Staat mobilisieren, um etwa 30 Kanäle zu bauen, auf einer Länge von bis zu 15 000 Kilometern. Es würden bis zu 3000 Reservoirs und Stauseen auf dem Subkontinent entstehen.

Doch dieses Prestige-Projekt, das Wasserministerin Uma Bharti gerade wieder als vorrangige Lösung für die Dürrekrise beschrieben hat, stößt auf viele Widerstände. Nicht nur wegen der dafür nötigen Umsiedlungen - Umweltschützer warnen auch, die möglichen ökologischen Folgen seien gar nicht ausreichend untersucht. Der Hydrologe Himanshu Thakkar erklärte im Magazin Quarz, dass die wissenschaftliche Grundlage fehle, um den Nutzen eines solchen Mega-Projektes zu belegen.

Sicher ist, dass der Druck auf den Staat mit jeder Trockenphase weiter steigt. Weil es immer mühsamer wird, den Durst von Hunderten Millionen Indern zu stillen.

© SZ vom 23.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: