Kanadische Trinktradition:Trauer um verschluckte Zehe

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Eine Bar in Kanada trauert um ihr ekliges Markenzeichen: Die berühmte in Alkohol eingelegte mumifizierte Zehe wurde von einem trinkfreudigen Gast verschluckt. Bis der nächste Wohltäter eine Zehe spendet, werden die Kanadier womöglich auf eine tierische Alternative zurückgreifen.

Von Bernadette Calonego

In der kanadischen Goldgräberstadt Dawson City werden verzweifelt Zehen gesucht, Zehen toter Menschen. Ohne sie ist ein morbides Ritual gefährdet, dem sich schon seit 40 Jahren Besucher unterwerfen können. Wer neugierig und tapfer genug ist, geht dazu nachts in die Bar des Downtown-Hotels im Yukon-Territorium, um einen Whisky zu trinken - in dem eine mumifizierte Zehe schwimmt. Wer diese Zumutung ohne Erbrechen hinter sich bringt, wird urkundlich beglaubigtes Mitglied des Sourtoe-Cocktail-Clubs.

Seit einigen Tagen schwimmt die ominöse Zehe aber weder im Whisky, noch ruht sie im Salz, in dem sie gelagert wird. Das ledrige, braune Stück wurde von einem Amerikaner verschluckt, absichtlich. Und dies nicht einmal in einem Getränk mit mindestens 40 Prozent Alkoholgehalt, wie es die Gesundheitsbehörden vorschreiben. "Er schwemmte die Zehe mit Bier hinunter", sagt Terry Lee vom Downtown Hotel, der das Ritual in jener Nacht beaufsichtigte.

Lee muss sich keinen Vorwurf machen, denn er hat wie jedesmal davor gewarnt, wer die eingemachte Zehe in den Mund nehme, hinein beiße oder sie stehle, werde zu einer Strafe von 500 Dollar verdonnert. Um zum Zehenküsser-Club zu gehören, muss man das runzlige Ding aber mit den Lippen berühren.

Zwei Zehen sind das Minimum

Der Arbeiter aus den USA indes, angeblich ein Mann namens Josh aus New Orleans, legte großspurig 500 Dollar auf den Tisch und machte sich mit der Zehe im Magen aus dem Staub. "Pure Prahlerei", sagt Terry Lee. Jetzt ist die Strafe auf 2500 Dollar erhöht worden. Zwar verfügt das Downtown-Hotel noch über eine Ersatzzehe, das ist aber nicht genug, wie Lee erklärt: "Wir müssen unbedingt zwei Stück haben, denn eine Zehe muss eine Woche lang im Salz austrocknen können. Sonst wird sie von all dem Whisky pampig und zerfällt."

Die meisten Zehen, so Lee, waren anonyme, im Testament vermerkte Spenden. Zehen wurden auch nach einem Rasenmäher-Unfall zur Verfügung gestellt und als ein Hühnerauge nicht operiert werden konnte. Ein Mann vermachte fünf Zehen, als sein Bein von einer Planierraupe zerquetscht wurde. Aber jetzt werden wieder Zehen gesucht in Dawson City, und zwar große, "denn kleine können unfreiwillig geschluckt werden", sagt Lee.

Bärenhoden in Whiskey

Es ist indes nicht das erste Mal, dass dem Sourtoe-Club ein Exemplar abhanden kommt. In den 80er Jahren stahl ein Trophäenjäger aus Texas eine Zehe und gab sie erst zurück, als die Polizei eingriff. "Mindestens 15 Zehen sind bislang verschwunden, davon wurden acht verschluckt", sagt Dick Stevenson, der das Sourtoe-Ritual 1973 erfand. Damals räumte er die Hütte eines Schmugglers aus, dem in den 20er Jahren ein Fuß während einer Hundeschlittenfahrt erfroren war und amputiert wurde. Der heute 83 Jahre alte Stevenson fand dessen Zehe in einem Konservenglas. "Ich behielt sie als Andenken."

Während einer Trinkrunde mit Freunden kam ihm eine Idee: Er legte die Zehe in Champagner ein. Der Champagner vertrug sich aber nicht so gut mit den toten Körperteilen und wurde mit Whisky ersetzt. Mehr als 50.000 Wagemutige haben seither die Prozedur ehrenhaft bewältigt. In der jetzigen Notlage rät er dem Downtown Hotel, mumifizierte Hoden oder Penisknochen von Bären in den Whiskey zu legen. "Das haben wir früher mit Erfolg gemacht", sagt er.

© SZ vom 31.08.2013/feko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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