Kampf gegen Unruhestifter in Essen:Bier zur Belohnung

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Säufer, Störenfriede und ein Hauch von Urin über dem Willy-Brandt-Platz: In Essen hat sich vor dem Bahnhof ein zwielichtiger Szenetreff entwickelt. Weder freundliches Ermahnen noch Platzverweise haben bisher etwas gebracht. Jetzt will die Stadt die Trinker arbeiten lassen - und ihnen im Gegenzug ein paar Bier ausgeben.

Von Bernd Dörries

Sie haben vieles versucht in Essen, um den Bahnhof und das Drumherum schöner zu machen. Zum europäischen Kulturhauptstadtjahr wurde der Bahnhof saniert, die Eingangsbereiche wurden aufgehübscht. Trotzdem lag immer ein Hauch von Urin über dem Willy-Brandt-Platz.

Eine ziemlich harte Drogen- und Trinkerszene hat dort seit vielen Jahren ihren Treffpunkt und ließ sich auch von den vielen Umbauten nicht beeindrucken. Bis zu 250 Leute standen herum, es wurde ordentlich getrunken, gebettelt und manchmal auch gepöbelt. Das war nicht gut für die Geschäfte in der größten Fußgängerzone des Ruhrgebiets.

Mal versuchte es die Polizei mit freundlicher Ansprache, mal mit Platzverweisen und Nulltoleranz-Politik. Nichts half. Jetzt will die Stadt den Trinkern einfach ein paar Bier ausgeben - und so das Problem lösen. Es ist ein interessanter Ansatz, der in Deutschland das erste Mal versucht werden soll. Von Mai an, so die Pläne der Stadt, sollen harte Trinker leichte Aufgaben erledigen, Müll einsammeln, Laub fegen. Und dafür mit Bier belohnt werden. Drei bis sechs Stunden pro Tag, dafür gibt es etwa ein halbes Dutzend Dosen Bier, die genaue Menge steht noch nicht fest.

Vorreiter ist Amsterdam

"Putzen für Bier" wird das Projekt im Essener Volksmund bereits genannt, das die Verwaltung gemeinsam mit der Suchthilfe organisiert. Projektleiter Oliver Balgar spricht lieber von "Tagesstruktur durch Beschäftigung für chronisch Mehrfachabhängige". Ein griffigerer Titel werde noch gesucht, aber vom Gelingen des Vorhabens ist er überzeugt.

In Amsterdam, wo gemeinnützige Arbeit bereits mit einer Dose Bier pro Stunde honoriert wird, seien große Erfolge erzielt worden, sagt Balgar. "Die Süchtigen trinken dort weiter, aber kaum noch Schnaps." Das sei auch in Essen der Plan, weniger Kurze, mehr Grundtugenden wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Und womöglich etwas Sinn im Leben. Ein Projektmanager soll die Alkoholiker beraten, sie bekommen medizinische Betreuung und Vitaminspritzen. Sie sind nach wie vor süchtig, sie saufen weiter. Aber weniger. Das ist das Ziel.

Bei harten Drogen funktioniert die Suchtpolitik schon seit Jahrzehnten so. Es wird substituiert oder darauf geachtet, dass die Abhängigen wenigstens saubere Spritzen benutzen. Bei Alkohol galt immer die absolute Abstinenz als Ziel. Zwischen Trinken und Trocken gab es nicht viel.

Deshalb gibt es nun auch Kritik an der staatlichen Bierausgabe. Aufgabe der Suchthilfe sei es doch, die Betroffenen vom Alkohol loszubekommen, nicht ihnen welchen zu verschaffen. "Es muss andere Belohnungssysteme geben. So verstärkt man doch nur das Bild des Penners mit der Bierflasche in der Hand", sagt Sabine Zschaler, Vorsitzende der Obdachlosenhilfe Ruhrgebiet. Das nehme den Betroffenen den Stolz, und der sei oft das Letzte, was sie noch haben.

Die Stadt Essen aber argumentiert, dass sich das Projekt an Schwerstabhängige richte, bei denen schon mehrere Therapieversuche gescheitert seien. "Die erreichen wir sonst gar nicht", sagt Projektleiter Balgar. Die Zentrale des Projekts hat er in Bahnhofsnähe eingerichtet. In der Hoffnungsstraße.

© SZ vom 26.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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