Kältewelle:"Der Mensch hat ein soziales Gedächtnis für Kälte"

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So sieht er ungefähr aus, der Blick vom Schneefernerhaus nach Südosten (Foto: picture alliance / dpa)

Ludwig Ries verbringt einen Großteil seiner Zeit auf der Zugspitze, er betreibt dort die Messstation des Umweltbundesamtes. Ein Gespräch über eisige Nächte - und was wirklich warm hält.

Interview von Max Sprick

Es gibt in Deutschland niemanden, der höher und kälter lebt als er. Ludwig Ries, 64, ist Chef der Messstation des Umweltbundesamtes im Schneefernerhaus, knapp unter dem Gipfel der Zugspitze, 2650 Meter über dem Meeresspiegel. Seit fast 20 Jahren untersucht Ries da oben Treibhausgase und überwacht den Zustand der Erdatmosphäre. Mit der Kälte muss er jeden Tag zurechtkommen, die vergangenen Nächte waren selbst für die Zugspitze extrem.

SZ: Herr Ries, ist Ihnen kalt?

Ludwig Ries: Es geht. Ich bin gut angezogen. Ich öffne immer wieder mal das Fenster, frische Bergluft ist etwas Herrliches. Und wir sind an der Südseite des Berges stationiert, da bekommen wir immerhin viel Sonne ab.

In der Nacht zu Montag hatte es bei Ihnen minus 27 Grad Celsius, das war der bisherige Kälterekord in diesem Winter.

Stimmt, ich habe schon einen kleinen Kälteschock. Aber eher, weil ich das Wochenende bei meiner Familie in München verbracht habe und es unten im Tal ja doch ein bisschen wärmer ist. Gegen sechs Uhr früh bin ich dann mit der Zahnradbahn wieder auf den Berg gefahren. Zu Arbeitsbeginn kurz vor Sonnenaufgang, dann, wenn die Temperatur am niedrigsten ist.

Ist eine Nacht wie die vergangene für einen Wissenschaftler etwas Besonderes?

Für unsere Messungen spielt so ein Tiefstwert keine große Rolle. Und menschlich, ja mei. Das Schneefernerhaus ist exzellent isoliert, hier frieren keine Leitungen ein. Zu Hause bei meiner Familie war das natürlich anders.

Inwiefern?

Ich lebe zwar hauptsächlich auf der Zugspitze, fahre aber ein-, zweimal in der Woche heim nach München. Und da ist meiner Frau momentan schon sehr kalt. Wir heizen daheim zusätzlich noch mit einem Holzofen. Wenn der richtig läuft, wird es mir aber zu warm. Ich muss dann meinen Pulli ausziehen.

Gewöhnt man sich nach fast 20 Jahren in gemäßigt arktischem Klima an die Kälte?

Würde ich schon so sagen, definitiv. Der Mensch hat ein soziales Gedächtnis für Kälte, er kann sich ihr anpassen. Für uns Ältere ist die momentane Dauerkälte ja auch nicht allzu ungewohnt. Ich kann mich an Winter in München erinnern, da hatte es minus 30 Grad und 50 Zentimeter Schnee in der Innenstadt. Aber wir waren eben besser darauf eingestellt. Lange Unterhosen gehörten für uns zur täglichen Kleidung. Inzwischen ist das Klima wärmer geworden, für jüngere Menschen sind zweistellige Minusgrade deswegen schockierender.

Was raten Sie denen, um nicht zu frieren?

Ein großer Irrtum ist es zu denken, eine dicke Jacke würde besser wärmen als eine dünne. Dicke Jacken sind in der Regel gar nicht so gut isoliert. Ich empfehle, dünnere und dafür mehrere Schichten zu tragen. Durch die Luft, die sich zwischen den jeweiligen Schichten sammelt, ist man stärker gegen die Kälte isoliert.

Bereitet es Ihnen Sorge, dass das Klima allgemein wärmer wird?

Das ist eine Tatsache, mit der wir zurechtkommen müssen. Wir Menschen bemühen uns ja, diesen Trend zu mildern. Das Montreal-Protokoll läuft recht erfolgreich, man darf sich aber von einigen kurzfristigen Erfolgen der Politik auch nicht täuschen lassen - sie hat noch sehr viel zu tun, was die Erderwärmung betrifft.

Ludwig Ries, 64, betreibt die Messstation des Umweltbundesamtes an der Zugspitze. (Foto: privat)

Ein Politiker sieht das anders. Donald Trump will sich vom Pariser Klimaabkommen verabschieden.

Diese Idee ist absolut leichtsinnig. Trumps Klimapolitik ignoriert ernste Tatsachen. So kann man nicht mit den Risiken der Klimaerwärmung umgehen.

Wie erleben Sie den Klimawandel auf der Zugspitze?

Unser Gletscher hier oben schmilzt und schmilzt. Die Dicke des Eises ist zwischen 1999 und 2009 um mehr als neun Meter zurückgegangen, pro Jahr verschwindet im Durchschnitt ein Meter des Gletschers. An einem warmen Sommertag schmilzt hier schnell mal ein Achtel des täglichen Trinkwasserbedarfs von München weg.

Als Laie kommt es einem so vor, als hätten sich die Winter verschoben, sie kommen heute viel später als früher - stimmt das?

Unsere Sommer dauern länger, unsere Winter kürzer, ja. Diese Verschiebung lässt sich gut beobachten: Wir haben inzwischen bis Mitte Dezember deutlich höhere Temperaturen als früher, was man auch am späteren Laubfall der Bäume sehen kann. Die richtige Kälte kommt erst Ende Januar, Anfang Februar. So wie jetzt gerade. Aber das ist kein Grund, sich Sorgen zu machen.

Und wann kommt der Frühling?

Ich bin optimistisch, dass nach diesem Wintereinbruch jetzt in zwei bis drei Wochen tatsächlich berechtigte Frühlings-Hoffnung besteht.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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