Justiz:"Er hat mein Leben zerstört"

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Im Prozess gegen Silvio S. sagt die Mutter des getöteten Jungen Mohamed aus.

Von Thorsten Schmitz, Potsdam

Die Sonne scheint draußen vorm Landgericht Potsdam, drinnen im Gerichtssaal hat ein Angestellter einen Karren mit Prozessakten abgestellt. Es sind Akten des Grauens. Angeklagt ist Silvio S., 33, ein sehr schüchtern wirkender, Nickelbrille tragender Mann, der die meiste Zeit an diesem Vormittag den Blick gesenkt und die Hände gefaltet hält. Mit diesen Händen soll er zwei Jungen sexuell missbraucht und getötet haben, Elias und Mohamed. Manchmal wagt Silvio S. einen Blick auf Aldiana J., die am Montag als Zeugin vernommen wird. Die Bosnierin ist Mohameds Mutter, und sie kann dem mutmaßlichen Mörder ihres vierjährigen Sohnes nicht in die Augen schauen, sie will es auch nicht. "Sie hat Angst, dass er ihr auch etwas antut", sagt eine Freundin, die im Zuschauerraum sitzt und die Mutter betreut.

Aldiana J. trägt eine schwarze Lederjacke, ein weißes Hemd, das hennarote Haar zusammengesteckt, sie hat tiefe Augenringe. Sie könne, sagt sie vor Gericht, seit dem Mord an Mohamed nicht mehr schlafen. Sie berichtet von zwei Fehlgeburten. Die Freundin ergänzt im Zuschauerraum, dass die Mutter Beruhigungsmittel einnimmt, um die Tage und die Nächte zu überstehen. Schon nach ein paar Minuten bricht es aus Aldiana J. heraus: "Ich begreife nicht, wie ein erwachsener Mann ein Kind entführen und töten kann. Ich wünschte, er käme für immer ins Gefängnis oder dass er sich selbst das Leben nimmt." Sie sei sich sicher, dass Silvio S. Mohamed mit Süßigkeiten oder Spielsachen "weggelockt hat". Zunächst war sie "sicher, dass Mohamed nur im Flüchtlingskindergarten ist und wieder auftaucht." Mit den Stunden schwand aber ihre Hoffnung.

Die Schwester hat nun Angst, auch entführt zu werden

Deutschland ist jetzt ihr Zuhause, auch weil ihr Sohn ermordet wurde, denn sie bekam eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, Politiker hatten sich dafür eingesetzt. Deutsch spricht sie kaum, auch ihre neun Jahre alte Tochter nicht, die Mohamed als Letzte lebend gesehen hat und am Montag ebenfalls kurz vor Gericht ausgesagt hat. Sie wirkt verschüchtert und leidet wohl darunter, dass sie ihren Bruder am 1. Oktober im Lageso-Chaos aus den Augen verloren hat. Die beiden hatten sich gestritten. Die Freundin berichtet, auch die Tochter habe jetzt Angst, entführt zu werden, und klebe förmlich an ihrer Mutter. Für mögliche Spätfolgen bei Mohameds Geschwistern müsse Silvio S. aufkommen, fordert der Anwalt der Nebenklage, Andreas Schulz, am Montag am Rande des Prozesses. Auch stehe der Mutter als Erbin ihres Sohnes Schmerzensgeld für das Leid zu, das der Vierjährige in seinen letzten Lebensminuten durchstehen musste. Der Anwalt spricht von mindestens 50 000 Euro.

Fast zwei Stunden steht Mohameds Mutter Rede und Antwort, der Richter lobt die 29-Jährige als "tapfer". Sie gibt Auskunft über Mohameds Unterhosenfarbe, was er gefrühstückt hatte und ob er ein eher ängstliches oder fröhliches Kind gewesen sei. Manchmal sagt sie auch Dinge, nach denen sie nicht gefragt wurde: "Der Angeklagte soll sich vorstellen, wie es ihm ginge, wenn man seinen Sohn entführt und getötet hat. Er hat mein Leben zerstört." Silvio S. hält den Blick starr nach unten gerichtet, auf seine gefalteten Hände. Was in ihm vorgeht, weiß nur er. Er verweigert die Aussage. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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