Italien:Die Monster-Babys

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In Modena wird eine Bande skrupelloser Diebe verhaftet: Die jungen Männer gingen stets mit Pfefferspray vor.

Von Oliver Meiler, Rom

Ihr dunkles Geschäft blühte in der Panik, im Nebel eines beißenden Gases. Im norditalienischen Modena hat die Polizei eine Bande verhaftet, die immer nach demselben Muster verfuhr: Sie mischte sich unter die Besucher von Diskotheken und Konzerten, wartete den passenden Moment ab, etwa den Einsatz von Trockeneis in einer Show, und sprühte dann Gas aus den mitgeführten Pfeffersprays in die dichten, fröhlichen, rhythmisch wogenden Menschenmengen. In der Aufregung, die einsetzte, entrissen die Gangster ihren Opfern Ketten, Uhren, Handys, Portemonnaies. Es ging ganz schnell. Dutzende solche Überfälle soll die Bande verübt haben.

Die italienischen Medien nennen sie "Baby mostri", monströse Babys, weil sie noch so jung sind. Sechs der sieben Verhafteten sind zwischen 19 und 22 Jahre alt. Der siebte, ein Goldhändler aus Modena, ist 65. Er soll die jungen Männer rekrutiert haben. Er war es auch, der die Beute in seinem Laden weiterverarbeitete. Darum hatte die Bande es vor allem auf Goldketten abgesehen. Pro Monat sollen 15 000 Euro reingekommen sein, Geld für teure Kleider, elektronische Gadgets und Drogen.

Den "Baby mostri" wird aber nicht nur Diebstahl vorgeworfen, sondern auch schwere Körperverletzung mit Todesfolge in sechs Fällen. Eine ihrer Operationen endete tragisch und tödlich.

Am 8. Dezember, im Club "Lanterna Azzurra" in Corinaldo bei Ancona, hatten sich mehr als 1200 junge und sehr junge Menschen in einen Saal gezwängt, der höchstens für 840 gedacht war. Sie warteten auf Sfera Ebbasta, einen bekannten Trapper, der für einen kurzen Auftritt in der Provinz angekündigt war. Er war spät dran und sollte nie in Corinaldo ankommen. Kurz nach Mitternacht, als sich Ungeduld breitmachte im Publikum, trat die Bande in Aktion. Sie hatte den Club Wochen davor schon inspiziert, sie kannte den Saal genau.

Das Gas löste eine Massenpanik aus. Hunderte stürmten zu den Notausgängen, stolperten, trampelten einander nieder. Sechs Menschen wurden erdrückt: eine Mutter, die sich schützend vor ihre Tochter gestellt hatte, sowie fünf Teenager, 14 bis 16. Die Täter bestahlen sogar Helfer, die neben Verletzten kauerten, und entkamen im Durcheinander. Die Ermittler fanden bald eine Spur. Sie hörten Telefongespräche mit, in denen die Männer auch über die Nacht in Corinaldo sprachen. Einer sagte: "Alle schrien, was für ein Spektakel."

Untereinander begrüßten sie sich aus Spaß mit "Hey, Mörder"

Sie machten danach einfach weiter, beklauten auch betagte Gläubige nach der Messe, und immer wieder Besucher von Nachtclubs. Zunächst verzichteten sie für eine Weile auf Pfeffersprays, weil die Kontrollen an den Eingängen der Lokale verstärkt worden waren. Es war ja nicht der erste Vorfall mit dem Wirkstoff. Im Juni 2017, beim Public Viewing des Champions-League-Finales zwischen Juventus Turin und Real Madrid, hatte auf der Turiner Piazza San Carlo eine andere Gang mit Pfefferspray eine Massenpanik ausgelöst. Zwei Frauen erlagen ihren Verletzungen.

Die Bande von Corinaldo kam bald zur Erkenntnis, dass es eben nichts Besseres gebe als den Pfefferspray. "Das Gas ist wieder in Mode", sagte einer am Telefon. Alle hätten schon vergessen, was passiert sei. Untereinander grüßten sie sich mit: "Hey, Mörder". Der Staatsanwalt sagt, er habe bei der Gruppe "kein bisschen Reue" ausmachen können.

© SZ vom 05.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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