Israel:Schabbat-Tours

Lesezeit: 2 min

„Das Recht auf Mobilität steht allen zu“: Ron Huldai, seit 21 Jahren Bürgermeister von Tel Aviv, in der Tür eines „Schabbat-Busses“. (Foto: dpa)

Die ersten Linienbusse an einem jüdischen Ruhetag in Tel Aviv waren ein voller Erfolg. Folgt jetzt ganz Israel?

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

Es herrscht eine Stimmung wie auf einer Klassenfahrt: Jeder, der in den Bus einsteigt, wird freudig begrüßt. Dabei kannten sich die meisten gar nicht, die die Buslinie 706 von Jaffa ins Zentrum von Tel Aviv benutzten. "Es ist ein historisches Ereignis", meint Dana Peretz. Die Rentnerin hat mit ihrem Mann Rafi die ersten Sitzreihen hinter dem Chauffeur besetzt: "Hier hat man den besten Ausblick."

Vom Zentrum Tel Avivs, dem Rabin-Platz, sind sie losgefahren in Richtung Jaffa Hafen, nun geht es an diesem Samstagmittag zurück in die Stadtmitte. Allen im Bus, selbst den fünf Touristen aus Großbritannien, ist bewusst, bei etwas Besonderem dabei zu sein: Dass öffentliche Verkehrsmittel am Schabbat fahren, hat es seit der Gründung Tel Avivs vor 110 Jahren nicht gegeben. Die Einstellung des öffentlichen Verkehrs am jüdischen Ruhetag geht auf eine Vereinbarung zurück, die David Ben Gurion vor 71 Jahren mit den ultraorthodoxen Juden geschlossen hat. Damals sicherte er ihnen auch die Wehrdienstbefreiung ihrer Religionsstudenten im Gegenzug für ihre Zustimmung zur Staatsgründung zu.

Zwischen Freitag 16 Uhr und Sonntagabend kurvten weiße Minibusse durch Tel Aviv und die umliegenden Städte Ramat Gan, Ramat HaSharon, Givatayim, Holon und Kiryat Ono. Die Routen der sogenannten "Schabbat-Busse" belaufen sich auf insgesamt 300 Kilometer, an 526 Haltestellen können Passagiere ein- und aussteigen. "Das Recht auf Mobilität steht allen zu. Leider ist es so, dass wir in unserem Land 20 Prozent der Zeit keinen öffentlichen Verkehr hatten. Diejenigen, die sich kein Auto oder Taxi leisten können, brauchen diesen Service", begründet Ron Huldai im Gespräch mit der SZ diese Initiative. Der Politiker der Arbeitspartei, der seit 21 Jahren Bürgermeister von Tel Aviv ist, will nicht akzeptieren, dass Ultraorthodoxe weiter den öffentlichen Verkehr blockieren können - noch dazu in einer säkularen Stadt wie Tel Aviv. "Wir versuchen unserer Regierung klarzumachen, dass es Zeit ist, etwas zu übernehmen. Deshalb fangen wir damit an."

Die 19 Sitzplätze sind rasch besetzt, an mehreren Haltestellen muss der Fahrer mit einer Geste des Bedauerns Menschen abweisen. Viele dieser Haltestellen sind außerdem zugeparkt, denn bisher konnte man am Wochenende hier sein Auto abstellen. In den ersten Wochen kann man die Busse gratis nutzen. Die Stadt übernimmt den Großteil der Jahreskosten von 3,6 Millionen Dollar.

Die Bilanz des ersten Wochenendes fiel positiv aus: Mehr als 10 000 Menschen waren nach Angaben der Stadtverwaltung mit den "Schabbat-Bussen" unterwegs. Ab nächstem Wochenende schon sollen mehr Busse eingesetzt und die Intervalle verkürzt werden. Auch andere Städte wie Ganai Tikva kündigten an, bald am Schabbat öffentliche Verkehrsmittel einzusetzen.

Vor dem Start in Tel Aviv gab es auch Proteste Ultraorthodoxer. Am Schabbat selbst blieben sie aus, denn das wäre ein Verstoß gegen den jüdischen Ruhetag gewesen.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: