Herne:Eiskaltes Geständnis

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Der mutmaßliche Täter von Herne berichtet der Polizei umfassend, warum er zwei Menschen tötete: Er habe sich zunächst selbst umbringen wollen, weil er keinen Internetzugang mehr hatte.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

Der junge Mann tauchte am Donnerstagabend im "Thessaloniki Grill" in der Innenstadt des westfälischen Herne auf. Er war schwarz gekleidet, hatte einen Regenschirm dabei und einen Sack Zwiebeln in der Hand. Aber er bestellte nichts. Er sei der Gesuchte, sagte Marcel H., man solle die Polizei anrufen. Die Betreiberin wählte die Nummer 110, der Mann telefonierte mit der Polizei, "und dann haben sie ihn geschnappt", erzählte sie tags darauf. Ganz ruhig sei er gewesen, eigentlich auch sie selbst: "Die Aufregung kam am nächsten Morgen."

Schließlich war sie einem Mann gegenübergestanden, der mutmaßlich zwei Menschen getötet hatte und von der Polizei als sehr gefährlich eingestuft worden war. Sein erstes Opfer war der neunjährige Jaden F., den Nachbarsjungen hatte H. am Montagabend in sein Haus gelockt und umgebracht - mit 52 Messerstichen, wie Klaus-Peter Lipphaus, der Leiter der Bochumer Mordkommission, am Freitag bei einer Pressekonferenz berichtete.

Das zweite Opfer fand die Polizei erst, nachdem sie Marcel H. nach dreitägiger Großfahndung vor dem Imbiss in Gewahrsam genommen hatte. Der Festgenommene selbst wies die Beamten auf eine brennende Wohnung in der Nähe hin - und darauf, dass darin ein Toter lag. Tatsächlich schlug Rauch aus einem Fenster eines Jugendstilhauses in der Herner Sedanstraße. Der Brand war schnell gelöscht, in einem der Räume aber lag die Leiche eines jungen Mannes. Es war der 22-jährige Bewohner der Wohnung, so Lipphaus, getötet mit 68 Messerstichen und "komprimierender Gewalt gegen den Hals".

Ein Meer aus Kerzen, Blumen und Stofftieren erinnert vor Jadens Wohnhaus an den getöteten Jungen. (Foto: Ina Fassbender/dpa)

Nach der Festnahme legte H. ein laut Lipphaus "eiskaltes" Geständnis ab, und das ziemlich umfassend: "Er redet viel, er diktiert quasi", sagte Lipphaus. Demnach wollte H. sich am Montagabend zunächst selbst umbringen. Er sei verzweifelt darüber gewesen, dass die Bundeswehr seine Bewerbung als Zeitsoldat abgelehnt hatte - und er nach einem Umzug mit seinen Eltern keinen Internet-Zugang mehr hatte. Er bezeichnete sich als "computer- und spielsüchtig". Seine Selbstmordversuche scheiterten, daraufhin habe er sich entschlossen, jemanden zu töten, "um in den Knast zu kommen". Das Opfer sollte derjenige sein, der nach dem Klingeln im Nachbarhaus die Tür öffnete. Es war Jaden F.

Nachdem er den Jungen getötet hatte, will er sich am selben Abend zu dem 22-Jährigen, einem Bekannten, mit dem er bisweilen Computerspiele im Internet spielte, begeben haben. Als dieser ihn am nächsten Morgen damit konfrontierte, von der Tat erfahren zu haben und zur Polizei gehen zu wollen, habe er ihn angegriffen und getötet. Dann blieb H. in der Wohnung - bis Donnerstagabend.

In einer der größten Fahndungsaktionen der vergangenen Jahre hatten zuvor Hunderte Polizisten im ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus nach dem Flüchtigen gesucht. Besonders hatte die Fahnder beunruhigt, wie sich H. im Internet mit der Tötung des Jungen gebrüstet hatte. Bereits unmittelbar nach der Tat hatte er offenbar Selfies über Whatsapp verschickt, auf denen er selbst blutverschmiert neben dem Körper des offensichtlich bereits toten Jungen zu sehen war. Auch in den nächsten Tagen tauchten Beiträge auf, die jemand, der sich als der Gesuchte ausgab, ins Internet gestellt hatte. Einer beschrieb, wie er, so dachte die Polizei, eine Frau "bekämpft" und gefoltert haben wollte. H. selbst gestand bei seiner Vernehmung, zwei dieser Botschaften per Whatsapp an einen oder mehrere Empfänger geschickt zu haben. Wer diese Leute waren und ob sie die Nachrichten veröffentlichten, ist noch unklar.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Vor seinen Taten war Marcel H. der Polizei noch nicht aufgefallen. Nachbarn beschrieben den schmächtigen jungen Mann als kontaktscheuen Einzelgänger. Laut Polizei war er nach Verlassen der Realschule arbeitslos. Mitschüler erzählten einem Bericht des Magazins Der Spiegel zufolge, H. habe einen regelrechten Armee-Fimmel gehabt. Die Polizei hatte in ihren Fahndungsaufrufen darauf aufmerksam gemacht, der Gesuchte sei möglicherweise in Tarnkleidung unterwegs.

In Herne hoben Kindertagesstätten nach der Festnahme die verhängten Sicherheitsvorkehrungen wieder auf. Während der Suche nach H. hatten Kita-Kinder nicht draußen spielen dürfen. Auch Schüler mussten während ihrer Pausen drinnen bleiben.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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