Hauptzeuge belastet Jacksons Leibarzt:"Das wurde noch mit niemandem gemacht"

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Verletzung ethischer Standards, fehlende ärztliche Verantwortung: Ein Anästhesie-Experte, der als Hauptzeuge der Anklage im Prozess Conrad gegen Murray auftrat, wirft Michael Jacksons Arzt grobe Verfahrensfehler vor.

Jörg Häntzschel

Dass die Methoden und das medizinische Selbstverständnis von Michael Jacksons Arzt Conrad Murray gelinde gesagt fragwürdig waren, weiß die Welt seit langem. Nun hat dies ein führender Experte der Anästhesiologie, der am Mittwoch als Hauptzeuge der Anklage im Prozess gegen Murray auftrat, noch einmal in drastischen Worten bestätigt.

Der als Hauptzeuge geladene Anästhsie-Eyperte Steven Shafer belastet Murray schwer. (Foto: REUTERS)

Steven Shafer von der New Yorker Columbia University verurteilte das Verhalten seines Kollegen so leidenschaftlich, dass es schien, er sei Ankläger. Shafer hatte sogar ein 16-minütiges Video produziert, das den korrekten Umgang mit dem für Jacksons Tod verantwortlichem Narkosemittel Propofol illustrierte.

Murrays Verletzung ethischer Standards, so Shafer, begann, als er sich darauf einließ, Jacksons Wünsche "wie ein Hausangestellter" zu erfüllen, statt seiner ärztlichen Verantwortung zu folgen: "Als Michael Jackson sagte, ,Ich brauche Propofol zum Schlafen', hätte ein Arzt gesagt: Du hast eine Schlafstörung, die Du von einem Spezialisten behandeln lassen musst." Murray hingegen gab Jackson das Mittel zwei Monate lang fast jede Nacht. "Wir befinden uns da im medizinischen Never-Neverland. Das wurde außer bei Michael Jackson noch mit niemandem gemacht."

Ebenso gravierend waren die Umstände der nächtlichen Propofol-Injektionen. Shafer listete 17 Abweichungen vom üblichen Procedere auf, von denen jede einzelne tödliche Folgen haben könne. Vom Fehlen von Überwachungsapparaten bis hin zu Murrays fataler Pinkelpause, während Michael Jackson aufhörte zu atmen. Der Fahrer eines Wohnmobils, sagte Shafer, gehe ja auch nicht mal kurz auf die Toilette, während er auf der Autobahn unterwegs sei.

Wie Murrays Anwälte weiter vorgehen werden, ist unklar. Einen der zentralen Punkte ihrer Verteidigung, dass nämlich Jackson einen Schluck aus der Propofol-Flasche genommen haben soll, während Murray kurz den Raum verlassen hatte, haben sie fallengelassen. Neue Studien hatten ergeben, dass das Mittel, oral eingenommen, relativ harmlos sei.

Dass der schon mit Drogen vollgepumpte Jackson in der Lage gewesen sei, sich selbst eine weitere Propofol-Injektion zu setzen, scheint wenig glaubhaft, auch weil an keiner der Spritzen Jacksons Fingerabdrücke gefunden wurden. Bei der Befragung eines anderen Arztes am Mittwoch schienen Murrays Anwälte auf die Theorie zu setzen, Jackson habe heimlich acht Lorazepam-Tabletten geschluckt. Erst die Kombination dieses Beruhigungsmittels mit dem zuvor verabreichten Propofol habe zum Tod geführt.

Doch warum er die Tabletten in Reichweite des süchtigen Jackson herumliegen ließ, warum er so lange zögerte, bis er den Notarzt anrief und warum er ihm das Propofol gegeben hat, ist damit noch nicht erklärt.

© SZ vom 21.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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