Gießen:Eine große Lüge

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Johanna war acht Jahre alt, als sie 1999 zum letzten Mal lebend gesehen wurde. (Foto: Reuters)

Der Mörder der achtjährigen Johanna muss lebenslang in Haft. Die Ermittler kamen ihm durch einen Zufall auf die Spur.

Von Susanne Höll

Was kann und darf man eine Mutter fragen, die gerade vernommen hat, dass der Mann, der vor fast zwei Jahrzehnten ihre Tochter grausam tötete, für den Rest seines Lebens ins Gefängnis muss? "Können Sie die Dinge nun hinter sich lassen?", ruft ein Journalist im Gießener Landgericht Gabriele Bohnacker zu. Die schmale Frau, selbst Juristin und Nebenklägerin in der Verhandlung, atmet tief durch. "So etwas lässt man nie hinter sich", sagt Bohnacker, die seit 1999 durch etliche private Höllen gegangen ist.

Die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze spricht von einem "grauenhaften und entsetzlichen Fall".

Erst verschwand die damals acht Jahre alte Tochter, später fand man ihre Leiche. Bohnacker selbst und ihr Mann standen zwischenzeitlich im Verdacht, für den Tod verantwortlich zu sein. Vom Täter fehlte trotz Großfahndungen und jahrelanger Arbeit einer Sonderkommission jede Spur. Vergangenes Jahr dann stießen die Ermittler durch einen Zufall auf den heute 42 Jahre alten Rick J., einen gestörten und zutiefst verstörenden Mann, drogensüchtig, mit abnormen sexuellen Vorlieben, spielsüchtig, mittellos, eine in vielfacher Hinsicht gescheiterte Existenz.

Der Angeklagte gab bei der Polizei und auch vor Gericht zu, Johanna Bohnacker entführt, betäubt und gefesselt zu haben, er wollte sie, wie er einräumte, sexuell missbrauchen. Ganze 15 Meter Klebeband hatte er um den Kopf des Mädchens gewickelt, Augen, Mund und Ohren waren zugebunden. Das Mädchen erstickte vermutlich, Rick J. behauptete in seinen ausführlichen, in Details aber sehr oft widersprüchlichen Aussagen, er habe das Kind nicht ermordet, der Tod sei eine Art Unfall gewesen, fahrlässige Tötung also, die wird mit höchstens 15 Jahren Haft bestraft.

Das Gericht schenkt dem Angeklagten keinen Glauben. Die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze spricht von einem "grauenhaften und entsetzlichen Fall", wirft Rick J. vor, die Unwahrheit gesagt und stets nur Dinge eingeräumt zu haben, die die Anklage zu beweisen in der Lage war. "Umgangssprachlich würde man sagen: Es ist alles eine große Lüge", bilanziert die Richterin. Die Kammer folgt dem Plädoyer von Staatsanwalt Thomas Hauburger, verurteilt den Angeklagten zu lebenslanger Haft und stellt eine besondere Schwere der Tat fest. Ob Rick J. tötete, um seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen oder um eine Straftat zu verdecken, lässt das Gericht offen. Der Angeklagte nimmt das Urteil äußerlich unbewegt auf, sein Anwalt kündigt später Revision an. Zu Gabriele Bohnacker, die ihm im Gerichtssaal schräg gegenüber sitzt, schaut Rick J. kein einziges Mal.

Die Mutter hatte auf eine lebenslange Strafe gehofft, gebangt, dass die Richter am Ende doch Milde zeigen könnten. Mit dem Spruch sei eine Last von ihr gefallen, sagt Bohnacker. Vor den Gerichtstüren beantwortet sie noch eine Frage aus dem Kreis der Prozessberichterstatter. Wie sie es ertragen konnte, im Prozess so viele Details über den Tod ihrer Tochter zu erfahren. Sie atmet abermals tief durch und sagt dann mit fester Stimme: "Ich habe es mir nur anhören müssen, sie hat es erleiden müssen. Das war ich ihr, verdammt noch mal, schuldig."

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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