Frankreich:"Mir gefielen die Farben"

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Übrig blieben nur die Rahmen: Für einen spektakulären Kunstraub verurteilt ein Gericht in Paris den Einbrecher Vjéran Tomic und seine zwei Hehler zu mehrjährigen Haftstrafen.

Von Christian Wernicke

Der Richter weiß, dass er Unmögliches versucht. Er räumt es selbst ein. "Die Profitgier einiger weniger", so urteilt Peimane Ghaleh-Marzbahn, der Vorsitzende der 32. Strafkammer in Paris, habe "alle Menschen um den Blick auf Kulturgüter gebracht, die zum kulturellen Erbe der Menschheit zählten." Genau dieser ideelle Schaden, so fährt der Richter fort, wiege weit schwerer "als der reine Geldwert" des Kunstraubs, über den der Magistrat am Montag in Paris zu Gericht sitzt. Fünf Gemälde - darunter je ein Werk von Pablo Picasso, von Georges Braque und von Amedeo Modigliani - sind seit nunmehr fast sieben Jahren spurlos verschwunden. Seit Vjéran Tomic, ein notorischer Dieb, die Bilder aus dem Museum für Moderne Kunst in Paris raubte.

Dafür schickt Ghaleh-Marzbahn den Einbrecher und zwei Kunsthehler nun für acht, sieben und sechs Jahre ins Gefängnis. Und er rechnet mit ihnen ab, in Euro und Cent. Das Gericht brummt den drei Komplizen auf, Schadenersatz ans Museum zu berappen - 104 Millionen Euro. Auf diesen Wert hatte ein Experte der Stadt Paris den Verlust beziffert. Eine gewissermaßen lebenslang abzuzahlende Strafe.

Der Dieb staunte, als er das Bild aus dem Rahmen schnitt: Der Alarm ging nicht los

Als die Polizei den Dieben auf die Schliche kommt, will einer der beiden Hintermänner "in Panik" alle Bilder loswerden. (Foto: Jacques Brinon/AP)

Tomic, der 49-jährige Kunstdieb, wie auch seine beiden Hintermänner, der Kunsthändler Jean-Michel Corvez und der Uhrmacher Yonathan Birn, hatten geahnt, dass sie hinter Gittern landen würden. Sie waren geständig, wenigstens zum Teil - und jeder auf seine Weise. Am meisten hat Vjéran Tomic geplaudert, der athletische Kahlkopf, der vor Gericht haargenau den Hergang seines Coups erzählte. Corvez, der Kunsthändler, habe ihm damals den Auftrag erteilt, ein Gemälde von Fernand Léger zu besorgen. Also besuchte Tomic mehrmals das Museum ("mit Eintrittskarte", wie er betonte), um die Sicherheitsmaßnahmen auszuspionieren. Sechs Nächte verbrachte er damit, an einem Erkerfenster mit Beize die Farbe abzukratzen und mit Säure das Metall zu schwächen. Dann schlug Tomic - wegen früherer akrobatischer Diebstähle in Hochhäusern "Spiderman" genannt und bereits 14-mal vorbestraft - zu: In der Nacht zum 20. Mai 2010 drang er binnen Minuten ins Museum ein, fand das bestellte Diebesgut (Légers "Stillleben mit Kerze") an der Wand, schnitt das Gemälde aus dem Rahmen - und staunte. Denn: "Der Alarm ging nicht los."

Tatsächlich versagten Bewegungsmelder und Videoüberwachung des Museums, nachts fehlte zudem Wachpersonal. Tomic beteuert heute, diese Gelegenheit habe ihn vom einfachen zum fünffachen Dieb gemacht. Er schaute sich um, bediente sich. Er griff nach "La Pastorale" von Henri Matisse ("Mir gefielen die Farben"), erblickte die "Taube mit grünen Erbsen" von Pablo Picasso ("Das habe ich mehr wegen des Namens mitgenommen"). Und schließlich blieb ihm sogar noch die Zeit, bis zum anderen Ende des Museums zu laufen, um hinter (nicht verschlossenen) Eisentüren Modiglianis "Frau mit Fächer" einzustecken.

Amedeo Modiglianis "Frau mit Fächer" von 1919 ist eines der Bilder, von denen die Polizei 2010 lediglich die Rahmen sicherstellen konnte. (Foto: Don Emmert/AFP)

Händler Corvez gab vor Gericht zu, er habe Tomic damals in einer Parkgarage an der Opéra Bastille getroffen und ihm für den bestellten Léger einen Schuhkarton mit 40 000 Euro in bar gegeben. Tomic will die übrigen vier Bilder zum Stückpreis von 50 000 Euro abstoßen. Corvez findet aber keine Käufer für die heiße, zu berühmte Ware. Nur die "Frau mit Fächer" verscherbelt er an seinen Freund Yonathan Birn, der auch die übrigen Bilder bei sich in der Werkstatt versteckt. Als die Polizei den dreien auf die Schliche kommt, will Birn "in Panik" alle Bilder loswerden. Er habe sie, so sagt er, "in die Mülltonne geworfen".

Weder das Gericht noch seine beiden Mittäter nehmen Birn diese Version ab. Nur, wo die fünf Gemälde heute sind, weiß niemand.

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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