Food-Truck in Jerusalem:Rollende Kochtöpfe für den Frieden

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Rollende Imbissbude mit multikulturellem Hintergrund: Der "Food Truck" der Organisation Jerusalem Season of Culture. (Foto: Tal Shahar)

Israelis und Palästinenser essen gemeinsam: In Jerusalem bietet ein mobiler "Food-Truck" lokale Gerichte an und will damit die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen näher zusammenbringen. Das stößt nicht nur auf Zustimmung.

Von Werner Bloch

Ein merkwürdiges Gefährt zuckelt in diesen Wochen durch Jerusalem. Jeden Tag macht es an einer anderen Stelle halt, es öffnet sich eine Klappe, fröhliche karibische Musik erklingt, und aus dem großen Kochtopf, der das Dach krönt, pafft Dampf. Der bunt bemalte, mit Lichtern überzogene Wagen ist ein zur mobilen Küche umfunktionierter Lkw - eine Art kulinarisches Eingreifkommando, das in verschiedenen Vierteln der Stadt Halt macht und das neben dem Essen auch eine politische Botschaft auf die Straße bringt.

"Wir kochen heute ein traditionelles palästinensisches Gericht, das sich Atayef nennt", erklärt Assaf Granit, Sternekoch und Jerusalems bekanntester Küchenchef - ein Gericht, das im Ramadan gern nach Sonnenuntergang zum Fastenbrechen gegessen wird. Ein dicker Fladen aus Mandeln, Erdnüssen, Pistazien, Ingwer und Aprikosen, mit roter, klebriger Soße. "Wir hoffen, dass die Leute nach ihren Gebeten zu uns kommen und essen werden."

Die Spezialität bietet er nicht nur Muslimen an, sondern allen Bevölkerungsgruppen. An diesem Abend steht der Food Truck am Jaffa-Tor, dem Eingang zur historischen Altstadt. Ein Pulk hat sich vor dem Wagen versammelt. Die Stimmung ist locker, einige tanzen. Die meisten sind säkulare Juden. Aus dem arabischen Teil Jerusalems sind nur wenige dabei, vor allem ein paar halbstarke Jugendliche mustern die Szene interessiert. Zwei Orthodoxe mit Schläfenlocken schauen konsterniert und entfernen sich rasch. Nein, niemand fällt sich hier um den Hals.

Eine der schönsten Geschichten, die man in Jerusalem findet

Gesponsert wird der Food Truck von der Jerusalem Season of Culture - einer Organisation, die die vielen Gräben und Mauern und die Sprachlosigkeit zwischen den Bevölkerungsgruppen der Stadt überwinden will. Jeden Abend trifft man während des Essens einen Künstler oder Intellektuellen in seinem Kiez, er hat entschieden, was gekocht werden soll. Das Gericht hat immer mit dem Standort des Wagens und mit der Biografie des Künstlers zu tun.

An diesem Abend hat Matan Israeli das Essen ausgesucht, ein Aktivist, der in Musrara, einem Grenzviertel zwischen Ost- und Westjerusalem, für das Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wirbt. Er hat einen Bunker von der Stadt erhalten, den er zur Galerie umgebaut hat. Dort zeigt er, wie kompliziert die Grenzziehung in Musrara ist und warum dort ganz verschiedene ethnische und religiöse Gruppen gleichsam ein kleines Israel bilden.

Nicht alle in Jerusalem finden das Engagement des Künstlers gut, er ist deswegen auch schon von orthodoxen Juden verprügelt worden. Aber Matan Israeli, ein Mittdreißiger mit schmaler Nase und großer Brille, hat auch eine schöne Geschichte zu erzählen, eine der schönsten, die man in Jerusalem findet. 2006 hat er eine Treppe gebaut, als Geschenk für seine Freundin Chiara. Sie lebten damals durch eine Mauer getrennt, sie im christlichen Viertel und er in Musrara.

"Ich wollte abkürzen, daher der improvisierte Weg über die Mauer. Seitdem haben viele Anwohner die Treppe benutzt, um auf die andere Seite zu gelangen. Später wurde sie mehrmals zerstört, aber ich habe sie jedes Mal neu aufgebaut, als Symbol dafür, dass wir an Brücken und Treppen glauben und nicht an Mauern und Trennung." Love Stairs nennen das manche in Jerusalem - der Künstler selbst nennt es Chiara Stairs.

"Jerusalem ist eine harte Stadt mit extremen Stimmungsschwankungen", sagt der Leiter der Jerusalem Season of Culture, Itay Mautner. "Glück und Euphorie liegen hier eng neben Angst, Spannungen und Rassismus. Jerusalem ist durch zwei große Narrative bestimmt: die Religion und die Politik. Die Kultur muss dazwischen ihren Platz finden, sie muss vermitteln. Wir machen dazu ein Angebot - und sind überzeugt, dass Kunst die Wirklichkeit ein wenig verändern kann."

Mautner ist der Erfinder des Festivals, ein begnadeter Unterhalter, Radiomann, Inspirator. Unterstützt wird er vom Bürgermeister und der Stadt Jerusalem, das meiste Geld kommt allerdings von einer privaten Stiftung. Sollte bei den Wahlen im Herbst ein orthodoxer Kandidat Bürgermeister werden, wäre dies mit ziemlicher Sicherheit das Ende der Jerusalem Season of Culture - denn ein vielfältiges, buntes, harmonisches Israel steht nicht besonders weit oben auf der Agenda der Orthodoxen.

Dabei dringt die Organisation, die es seit zwei Jahren gibt, immer weiter vor - sogar ins Parlament. Dort hatte der Künstler Dani Karavan zur Einweihung des Gebäudes 1965 ein riesiges Steinrelief in der Knesset geschaffen. Im Rahmen der "Season of Culture" hat er sein Werk vor Bürgern und Künstlerkollegen neu interpretiert. Karavan steht vielem, was in der Knesset verhandelt wird, äußerst feindlich gegenüber, er hat sogar verfügt, dass sein Relief bei manchen Debatten verhängt wird.

Selbst an der Klagemauer war die Jerusalem Season of Culture aktiv. Der Künstler Omar Krieger hat dort ein fünfkanaliges Radiospektakel aufgeführt. Mehrere Reporter waren an der Klagemauer, während auf einem Kanal religiöse Gesetzestexte verlesen wurden und auf einem anderen nur das Zwitschern der Vögel gesendet wurde, die dort nisten. "Wir gehen an Orte, wo die Konflikte spürbar sind, an den Nerv der Dinge", sagt Krieger. "Die Leute performen ihre religiöse Identität in der Stadt. Das interessiert mich."

Anknüpfen an die Fünfzigerjahre

Es gab schon bessere Zeiten in der israelisch-palästinensischen Verständigung. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren traf man sich an sogenannten Wassermelonenständen, damals beherrschten viele noch die Sprache der anderen. Das Jerusalem Festival of Culture versucht, diese Orte zu reanimieren, mit temporären Partyzonen auf der Demarkationslinie, zwischen Ost- und Westjerusalem, wo gemeinsam gefeiert wird. Zwischen den Frauen und manchen jungen arabischen Männern kam es allerdings zu Problemen. Die gemeinsamen Tanzveranstaltungen wurden gestoppt.

Keine Veranstaltung aber erreicht so viele Menschen wie der Food Truck. Am Ende soll ein Buch entstehen und die verschiedenen Stadtviertel, Gerichte und Künstler zusammenbinden - ein kleines Mosaik eines neuen Jerusalem.

© SZ vom 08.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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