Fall Mirco:Opfer aus Zufall

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Mircos mutmaßlicher Mörder gesteht die Tat. Er habe sich "abreagieren wollen" - weil er sich von seinem Chef gedemütigt fühlte. Für den Soko-Chef steht der Täter "auf der Feigheitsskala ganz oben".

Bernd Dörries, Mönchengladbach

Olaf H. hat nach seiner Verhaftung am Mittwoch erzählt, dass er seit fünf Monaten bei fast jedem Auto gedacht habe, nun sei es soweit, nun komme die Polizei. In den 150 Tagen seitdem er den kleinen Mirco ermordete habe er überlegt, sich zu stellen oder einen anonymen Hinweis zu geben, damit die Polizei auf ihn komme, damit es vorbei sei. "Gehen sie davon aus, dass ein Täter, der einen kleinen Jungen umbringt, auf der Feigheitsskala ganz oben steht", sagt Ingo Thiel, der Leiter der Soko Mirco am Freitag im Polizeipräsidium Mönchengladbach, "aber selbst dazu war er zu feige."

Am Mittwoch hatten die Polizisten um sechs Uhr morgens an einem Haus in Schwalmtal geklingelt und Olaf H., 45, vorläufig festgenommen. Seine dritte Frau und die zwei Kinder haben noch geschlafen, ein drittes wohnt bei der Ex-Frau. H. leistete keinen Widerstand und zeigte auch ansonsten nicht, was in ihm vorging. Im Verhör versuchte er erst, sich herauszureden, sprach von einem Unfall. Nach und nach konfrontieren ihn die Vernehmer mit dem, was sie gegen ihn in der Hand haben. Schließlich fährt Olaf H. mit ihnen zur Leiche von Mirco. Die war weder vergraben noch besonders versteckt, sondern einfach abgelegt in einem Waldstück. In den vergangenen Monaten seit dem Verschwinden des Zehnjährigen am 3. September hatte die Polizei Tornados mit Wärmebildkameras über die Umgebung von Mircos Heimatort Grefrath geschickt und tausend Polizisten, die ein Gebiet von fünfzig Quadratkilometern absuchten. Der Tatort lag etwa sechs Kilometer weiter.

Für Mirco war sein letzter Tag im Leben wahrscheinlich ein schöner, er war mit Freunden auf der Skaterbahn und machte sich gegen 22 Uhr auf den Heimweg. Olaf H. hatte an diesem Tag wieder Streit mit seinem Chef, wie so häufig in den vergangenen Monaten, weshalb der Bereichsleiter bei der Bonner Telekom in eine andere Abteilung versetzt wurde, ins Controlling. Sich selbst hatte er nicht unter Kontrolle.

Am Tattag, berichtet Sokoleiter Thiel, habe ein Vorgesetzter H. "zusammengefaltet", auf dem Heimweg sei er ziellos umhergefahren, bis er schließlich auf Mirco traf. Er überholt den Jungen, "spricht ihn vom Fahrrad runter" und nimmt ihn im Auto mit. Das Kind hat Angst vor dem Mann und macht, was er sagt. H. fährt etwa zwölf Kilometer weit, dann halten sie an einem Feldweg. Dort habe H. "versucht, sexuelle Handlungen vorzunehmen", sagt Thiel. Dann bringt er Mirco um. Genaueres müsse die Obduktion klären.

Fünf Monate dauerte die Suche nach dem Täter

Thiel geht von einem Sexualdelikt aus, das sei aber nicht das Hauptmotiv. H. habe seinen beruflichen Stress "abreagieren wollen, sagt Thiel, die Tat sei ein "Akt der Erniedrigung gewesen". Der geständige Täter habe sich von seinem Chef gedemütigt gefühlt und habe nun jemanden gesucht, dem er sich überlegen fühle, über den er "Kontrolle ausüben kann". Bisher haben sich keine Hinweise auf einen pädophilen Hintergrund der Tat ergeben, gegenüber seiner eigenen Familie ist H. offenbar nie gewalttätig geworden. Nach Angaben von Ermittler Thiel haben Nachbarn und Familie berichtet, es habe bei H. keine Auffälligkeiten gegeben. Etwas müsse aber in H. geschlummert haben. "Da war eine tickende Zeitbombe unterwegs", sagt Thiel, und Mirco ein "reines Zufallsopfer".

Die Heimat von Mirco lag auf der Strecke von H., der von Schwalmtal nach Bonn pendelte, mit einem Dienstwagen, einem VW Passat B 6, der ihm schließlich mit zum Verhängnis wurde. Ein Zeuge hatte den Wagen am Tatabend beobachtet, an der von Mirco gefunden Kleidung fand man Fasern, die wiederum auf die Ausstattung des Wagens schließen ließen. Etwa 150.000 Modelle wurden produziert, die Polizei hatte bereits 15.000 Halter registriert und 1500 Autos abgeklebt, also mit einer Folie überzogen und nach Spuren abgesucht.

H. hatte seinen Wagen wenige Wochen nach der Tat abgegeben, weil der Leasingvertrag ausgelaufen war. Der neue Besitzer, ein Autohändler, fuhr mit dem Wagen nach Russland, wo er ihn verkaufen wollte, dann nach Luxemburg, wo er wohnte und zum Frankfurter Flughafen, um in Urlaub zu fliegen. Kurz bevor der Wagen nach Russland überführt werden sollte, nahmen sich die Kriminaltechniker den Passat vor.

Fast fünf Monate dauerte die Suche nach dem Täter, Soko-Leiter Thiel hat immer gesagt, er sei sich sicher, ihn zu kriegen. "Wir haben hoch gepokert und sehr viele Mausefallen aufgestellt, eine hat zugeschlagen", sagt Thiel am Freitag. Welche Falle genau zugeschnappt hat, oder ob es eher Fleiß, Geschick und ein wenig Zufall waren, das will Thiel nicht sagen. Er spricht vage von neuen Methoden, die man nicht preisgeben dürfe. "Es gibt, so traurig das ist, einen Fall nach Mirco."

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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