Erziehung:Bist du smart?

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Worüber wird in Familien 2017 wohl am meisten diskutiert? Es ist klein, es leuchtet im Dunkeln, und Eltern sagen dazu ganz oft "Gib das Ding her!"

Von Vera Schroeder

Letztens stand der Achtjährige im Schlafzimmer und entdeckte ein ganzes Bücherregalfach voller Filofaxe, die seine Eltern in den Unijahren als Kalender gepflegt hatten. Er wollte wissen, was das für Bücher seien. Und staunte nicht schlecht über den Satz: "Weißt du, damals gab es ja noch keine Smartphones." Man konnte die Rauchwolken im Kopf des Kindes erahnen. "Man hat Termine mit der Hand in so ein Buch eingetragen, und das hatte man dann am besten immer in der Tasche." Noch mehr Rauchwolken. Dann irgendwann, konzentrierte fünf Minuten später: "Sag mal, Mama: Hattet ihr damals schon Duschen?"

Die meisten Mütter können sich nicht mehr vorstellen, wie langweilig Stillen ohne Handy gewesen sein muss. (Foto: mauritius images)

Mit ein bisschen Abstand betrachtet: Es ist so verdammt kurz her, dass es Smartphones gibt. 1996 entwickelte Nokia das allererste, 2007 folgten die Massen mit dem ersten iPhone, 2009 kam das Samsung Galaxy dazu. Und seitdem teilt sich die Welt nicht mehr nur in die, die noch wissen, wie man ein verheddertes Telefonkabel aushängt und die, die sich in ihrem ganzen Leben keine einzige Telefonnummer mehr merken müssen - das Smartphone ist auch das raumeinnehmendste Thema in Familien mit Kindern geworden. Eine dritte Gruppe bilden also diejenigen, deren größte Lebensveränderung, nämlich die Familiengründung, mit der zweitgrößten durch das Smartphone praktisch zusammengefallen ist.

Wer darf wann wie lange ans Handy und warum? Was darf ich mir als nächstes draufladen? Über wenig wird so viel diskutiert. Eltern heute sind die erste Generation, in der die meisten Mütter es sich schlicht nicht mehr vorstellen können, wie langweilig Stillen ohne Handy gewesen sein muss. Und wie oft Kinder wohl "Die Sendung mit der Maus" verpassen mussten, weil sie wirklich nur sonntags um 11.30 Uhr ins Wohnzimmer gesendet wurde.

Gleichzeitig bringt das Thema viel Streit und Ratlosigkeit in Familien. Die Erfindung ist einfach zu jung, als dass sich bereits klare Umgangsregeln entwickeln konnten, auf die sich, in verschiedenen Varianten, alle einigen können. Und es gibt noch keine Vorbilder dafür, wie man die riesigen Vorteile des Smartphones in Familien nutzen und die Nachteile so klein wie möglich halten könnte. Das Handy hat in seinem Inneren synchronisierbare Familienkalender, Wegbeschreibungen in die abgelegensten Ecken der Welt komplett ohne Ehestreit und 38 Gigabyte beglückende Kinderfotos - aber, wie immer mehr Studiendaten beweisen, auch jede Menge Suchtpotenzial. Es kann jede Woche etwas Neues, die Küche mit zwei Klicks in eine Disco verwandeln und jeden Stern am Himmel, den man einem Kind zeigen will, sofort mit Namen benennen - aber auch so viel Aufmerksamkeit binden, dass sich Eltern wie Kinder in unkonzentriert grunzende Buckelwesen verwandeln, die es nicht aushalten, fünf Minuten nicht das Touchscreenlicht anzuschalten.

Kinder lieben Smartphones und Tablets, sie können den Umgang aber nur schwer steuern. Das ist Elternjob. (Foto: imago stock&people)

Eigentlich ist es selbstverständlich: Etwas Neues kommt. Und man überlegt, welche Regeln es nun braucht, damit das Neue im Bestehenden funktioniert. Beim Smartphone allerdings ist diese Suche nach den Regeln dominiert von alarmistischen Grundsatzdebatten. "Handys machen dumm! Weg damit!", schreien die Apokalyptiker (und erhalten gut dotierte Sachbuchverträge dafür). "Jeder Lehrer, der nicht auf Snapchat ist, gehört in Rente", rufen die anderen, die gern vorndran sind (und damit Geld verdienen, so zu tun, als ob sie Snapchat verstehen). "Have smartphones destroyed a generation?", fragte im Sommer ein viel beachteter Text im US-Magazin The Atlantic, in dem die Psychologin Jean M. Twenge Anekdoten handysüchtiger Jugendlicher mit zu ihren Thesen passenden Studien mischte und einer ganzen Generation den Verlust aller sozialen Fähigkeiten attestierte. Die Psychologin Sarah Cavanagh entgegnete in Psychology Today, Twenge lese alle Studien zu einseitig und dass man eine Generation, die weniger trinkt und weniger raucht als jede zuvor, wohl kaum als zerstört bezeichnen könne.

Wer von beiden und ob überhaupt jemand recht behalten wird, ist für den Familienalltag eigentlich irrelevant. Denn das Smartphone wird nicht mehr verschwinden. Es ist eine der größten Erfindungen unserer Zeit und verändert das Zusammenleben.

Während nun also an allen Ecken unterschiedlichste medienpädagogische Konzepte entstehen, während sich die Schulen überlegen, wann und wie viel Handy im Unterricht sinnvoll ist, und Hirnforscher weiteres Datenmaterial sammeln, was Tippen, Wischen, Likes und Akkunöte mit Kinderhirnen machen, während all dies geschieht, bleibt den Eltern und ihren Kindern im Moment vorwiegend eins: Sie müssen sich ihre eigenen Regeln überlegen. Das bedeutet: Sie müssen überhaupt überlegen.

Smartphones haben jede Menge Suchtpotenzial – am Ende geht es für die Eltern vor allem darum, ihren Kindern ein Vorbild zu sein. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Smartphone-Debatte offenbart gerade im Familienkontext eine alte Erziehungsweisheit: Es geht vor allem darum, Vorbild zu sein. Vorbild kann man aber nur werden, wenn man selbst weiß, wann man das Handy super findet, was man damit gerne macht, worauf man vielleicht stolz ist - und wann oder in welchem Moment man es lieber weglegen oder gleich in der Tasche lassen möchte. Wenn man als Erwachsener diese Fragen für sich beantwortet hat, braucht es keine medienpädagogische Beratung von außen, dann entwickelt sich die Haltung, die man an seine Kinder weitergeben möchte, fast von allein. Beim Thema Ernährung würde ja auch - zumindest in Bildungsbürgerkreisen - niemand mehr auf die Idee kommen, eine externe Medienberatung zu fordern, alle Verantwortung an die Schule abzugeben oder die Kinder einfach unendlich Süßigkeiten essen zu lassen. Bei diesem Thema trauen sich Eltern eine Haltung zu, die sie an ihre Kinder weitergeben. Weil sie eben selbst genauer wissen, worauf es zu achten gilt. Genau dahin müssen sie auch beim Smartphone.

Die Idee, am Handy mehr Vorbild zu sein, anstatt es einfach immer in die Hand zu nehmen, wenn man grad Lust drauf hat, diese Idee ist natürlich einfacher hingeschrieben als tatsächlich umgesetzt. Besonders wenn Eltern selbst fortgeschritten handysüchtig sind, aber das immer wieder gerne verdrängen. Letztens verlangte der Vierjährige, dass man doch bitte kurz vom Sofa aufstehen möge, um Legoaufbauten im Kinderzimmer zu bewundern. Als ihm das Aufstehen der müden Mutter zu lange dauerte, überlegte er es sich kurzerhand anders und rief: "Ach, kannst liegen bleiben, Mama, und mir einfach das Handy geben, ich mach dir ein paar Fotos."

Es sind diese Momente, in denen vollkommen klar wird, dass der Weg, bevor man mit dem Handy ein Vorbild ist, noch lang und unbequem ist. Und man sich auf diesem Weg so wunderbar damit ablenken lassen wird, was dieses Universallexikon in der Hosentasche doch so alles Großartiges kann. Die erste moderne Dusche wurde zum Beispiel 1872 erwähnt. Kann man mit dem Handy nachgucken. Das Bild auf Wikipedia von einer selbst gemachten Duschkonstruktion aus dem Ersten Weltkrieg ist wirklich interessant.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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