Eindringlinge:Invasion der Marderhunde

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Seit 2012 werden Marderhunde auch im Landkreis Erding gesichtet. Ein Marderhund sieht aus wie ein Fuchs in einem zotteligen Waschbärkostüm. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Ein eher unauffälliges Fellwesen breitet sich äußerst schnell in Deutschland aus - und richtet eine Menge Schaden an.

Von Peter Burghardt, Hamburg

"Der Wolf", sagt Hendrik Löffler, "hat natürlich eine ganz andere Lobby." Dieses Mythische. Diese Faszination. Einen Wolf erkennt fast jeder, ein Laie könnte das Raubtier allenfalls bei schlechter Sicht mit einem Schäferhund verwechseln. Seit Monaten machen Geschichten über die Rückkehr der Wölfe die Runde. Man hört, dass wieder Schafe gerissen werden. Expertenkommissionen tagen, nachdem die Tiere in Deutschland etwa 150 Jahre lang verschwunden waren. Der Wolf also ist ein Thema. Aber wer weiß von der Invasion der Marderhunde?

Die meisten Menschen wissen nicht mal, wie so ein Marderhund - wissenschaftlich: Nyctereutes procyonoides - überhaupt aussieht. Dem Namen entsprechend wäre eine Mischung aus Marder und Hund zu vermuten, für Hendrik Löffler von der Kreisjägerschaft Stormarn in Schleswig-Holstein ist das Phänomen optisch eher "irgendwo zwischen Fuchs und Waschbär angesiedelt".

Verbände schlagen Alarm

Im Gegensatz zum Respekt einflößenden Wolf handelt es sich hier um ein eher unauffälliges Zottelwesen, das inklusive Spitznase und Schwanz maximal 90 Zentimeter lang wird und vornehmlich nachts aktiv ist. Aber der Marderhund, weiß der mehrfache Augenzeuge Löffler, sei "schon deutlich länger bei uns präsent als der Wolf". Fachleute halten seine Präsenz inzwischen für ein Problem, denn die Tiere sind nicht nur fremd, listig und gefräßig. Diese zugewanderten Tiere vermehren sich dermaßen schnell, dass die Verbände Alarm schlagen.

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Schleswig-Holstein ist dabei keineswegs das Zentrum der unerwünschten Immigration. Der Marderhund breitet sich nahezu im gesamten Bundesgebiet aus, vor allem im Norden. 511 dieser Allesfresser wurden binnen einem Jagdjahr allein im Bereich Stormarn nordöstlich von Hamburg geschossen, in ganz Niedersachsen waren es laut dem kürzlich veröffentlichten Landesjagdbericht 2353 Tiere; 41 Prozent mehr als in der Vorsaison.

Die Bilanz bestätigt den allgemeinen Trend: Die zotteligen Eindringlinge werden stetig mehr, dabei kamen sie ursprünglich von ganz weit her. "Von hinter dem Ural", sagt Löffler, ursprünglich sogar aus Fernost, aus Sibirien, Japan, Vietnam und der Mandschurei.

Bis Anfang der Fünfzigerjahre wurden Marderhunde in Teilen der heutigen Länder Russland und Ukraine sogar angesiedelt und gezüchtet. Ihr weicher beige-braun bis schwarzer Pelz galt als wertvoll und ist es für einige Käufer heute noch. Viele Farmen wurden später aufgegeben und die Tiere befreit. Auf der Suche nach neuen Lebensräumen bahnten sich die vierbeinigen Wanderer ihren Weg gen Westen. 1982 wurde erstmals ein Exemplar in Deutschland gesichtet, seinerzeit im Emsland.

Bei der Futtersuche sind die Tiere nicht wählerisch, das erleichtert die Invasion. Marderhunde fressen Aas genauso wie Mais oder Frischobst. Sie mögen auch Nüsse, Beeren, Kastanien, Eicheln, Rüben, Graswurzeln, Insekten, Fische, Eier, Amphibien, Vögel und kleine Säuger. "Nahrungsopportunistisch", nennen Fachleute das.

Der Heißhunger der Tiere ist zwar keine Gefahr für den Wolf, auch nicht für andere große Säuger. Aber für "Bodenbrüter", etwa die Rohrdommel oder den Schilfrohrsänger, sind Marderhunde eine Gefahr. Auch Hasen oder Rebhühner zählen zu den Opfern. Menschen brauchen sich im Prinzip nicht zu fürchten, doch es wird davon abgeraten, Marderhunde mit bloßen Händen zu berühren, da sie mit Räude oder Grabmilben befallen sein können.

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Kaum einer kennt sich mit dem Marderhund aus

Beliebt sind die Siedler nicht, sieht man mal von ihrem Fell ab. Entsprechend eifrig werden Marderhunde gejagt, was Ökologen mit gemischten Gefühlen betrachten. Einerseits zählen die Tiere zu den Neozoen oder Neobiota - Spezies, die zufällig oder absichtlich in einer neuen Heimat gelandet sind und dort Einheimische bedrängen. Man denke an die Biberplage auf Feuerland; kanadische Züchter hatten die Nager einst auf der Inselgruppe ausgesetzt, später vernichteten die Tiere dort halbe Wälder. Andererseits ist so eine Veränderung von Lebensräumen ein sehr weites Feld.

Da spielten "auch andere Player" eine Rolle, sagt etwa Magnus Wessel von der Naturschutzvereinigung Bund. Diese reichten von der industriellen Landwirtschaft und Flächennutzung bis hin zu exotischen Pflanzen im heimischen Garten. Ein besonders eifriger Neozoon ist etwa auch der gemeine Waschbär. Wessel bekam wegen dessen Verbreitung bereits Besuch von einem besorgten TV-Team aus Schweden. Beim Marderhund hingegen kennt sich kaum einer aus. Er sei sogar mal gefragt worden, ob das Tier mit dem Tasmanischen Teufel verwandt sei, sagt Wessel.

Wie gesagt: Den wahren Einwanderkönig der Tiere, der sich still durchs ganze Land gefressen hat, kennt in Deutschland bis heute kaum jemand. Das dürfte sein größter Vorteil sein.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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