Duisburg:Die Loveparade-Ermittlungen - sechs Jahre Totalversagen

Lesezeit: 2 min

Kerzen brennen im vergangenen Juli in Duisburg an der Unglücksstelle der Katastrophe. (Foto: dpa)

Es war nicht einfach Pech, dass in Duisburg 21 Menschen gestorben sind. Doch die Angst vor einem Prozess, der ohne Urteil bleibt, war nun größer als die Pflicht gegenüber den Hinterbliebenen.

Kommentar von Bernd Dörries

Die Deutschen sind immer ganz gut darin, anderen Ländern zu erklären, wie man es besser macht. Den Spaniern erklären sie, wie man Jugendarbeitslosigkeit bekämpft, den Italienern empfehlen sie, doch mal was gegen die Mafia zu tun, und China gibt man gerne Hinweise, wie ein Rechtsstaat auszusehen hat. Jetzt müsste Deutschland den spanischen, italienischen und chinesischen Hinterbliebenen der Loveparade erklären, warum es dieses Land nicht schafft, Gerechtigkeit zu schaffen, es womöglich nicht einmal zu einem Gerichtsverfahren kommen wird. Es ist eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats. Bei anderen Ländern hätte man gesagt, typisch, da wurde gelogen und gebogen, bis es niemand mehr war.

Eine Katastrophe, gut dokumentiert

Und wie war es in diesem Fall? Fast sechs Jahre Ermittlungen, Tausende Zeugen, Zehntausende Seiten Akten. Diese Zahl hat die Justiz immer mal wieder präsentiert, als eine Art Arbeitsnachweis. Fast zwei Jahre lang hat das Landgericht Duisburg darüber nachgedacht, ob es die Anklage im Fall der Loveparade zulassen soll. Man habe es sich nicht leicht gemacht, sagen die Richter. Das hilft den Angehörigen wenig. Und es stimmt nicht einmal. Sechs Jahre Ermittlungen sind auch sechs Jahre voller Pannen, die locker für mehrere Untersuchungsausschüsse im Düsseldorfer Landtag reichen würden. Die aber keine der großen Parteien will. Weil dann deutlich würde, wie sehr auch die Politik die Loveparade wollte, gegen alle Bedenken. Um jeden Preis.

Duisburg
:Staatsanwaltschaft will Loveparade-Strafprozess mit Beschwerde retten

21 Tote und Hunderte Verletzte: Knapp sechs Jahre nach der Katastrophe in Duisburg wird die Anklage nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.

Von Bernd Dörries

Der Preis ist für die Hinterbliebenen nun ein doppelter. Erst haben sie ihre Liebsten verloren, und nun den Glauben an das deutsche Justizsystem. Dabei gibt es nicht mal Anlass zu glauben, hinter dem geplatzten Prozess stecke eine Großverschwörung. Es war einfach eine völlig überforderte Staatsanwaltschaft am Werk, die Akten verschlampte, die Staatsanwälte verschliss und die über Jahre an einem Gutachter festhielt, von dem klar war, dass er schlampig arbeitete. Man war zu stolz, ihn auszutauschen. Sie haben die ganze Anklage auf den Mann gestützt, dabei wäre das gar nicht nötig gewesen. Diese Katastrophe ist eine der am besten dokumentierten der Neuzeit, in Bild, Ton und Schrift.

Furcht vor einem Prozess ohne Urteil

Wenn man vor dem schmalen Tunnel am Duisburger Hauptbahnhof steht, braucht man keinen Gutachter, um zu sehen, dass man an diesem Ort besser keine Loveparade durchschleusen sollte. Das Problem in einem Strafprozess ist, das vermeintlich Offensichtliche in eine persönliche Schuld umzuwandeln. So groß das Leid, so klein die Schuld des Einzelnen. Das war in etwa das Problem des Großverfahrens nach dem Brand am Düsseldorfer Flughafen. 17 Menschen starben, zahlreiche Vorschriften waren verletzt worden. Und dennoch gab es keine Verurteilung. Diesen Fall hatte das Duisburger Landgericht vor Augen. Es hat den Fall Düsseldorf nicht als Mahnung verstanden, sondern sich davon lähmen lassen. Die Angst vor einem Prozess, der nach vielen Jahren ohne Urteil bleibt, war größer als die Pflicht gegenüber den Hinterbliebenen, zumindest zu versuchen, etwas Gerechtigkeit zu schaffen. Die Richter haben es sich leicht gemacht, vor allem an sich selbst gedacht. Lieber jetzt ein paar Tage Empörung als viele Jahre Schmach.

SZ MagazinDie Loveparade-Katastrophe
:Schuld ohne Sühne

Am 24. Juli 2010 starben 21 Menschen bei der Loveparade in Duisburg. Bis heute ist die Schuldfrage nicht geklärt. Fünf Jahre danach erzählen Betroffene vom Tag, der alles veränderte.

Von Thomas Bärnthaler und Christoph Cadenbach

So manche Beteiligte sollen gar nicht so froh sein über die Einstellung des Verfahrens. Ihnen bleibt die Möglichkeit eines Freispruchs verwehrt. Sie galten in der Öffentlichkeit über viele Jahre als die Schuldigen. Juristisch gesehen mag die Abweisung der Anklage sie von der Schuld befreien, der Beigeschmack bei Hinterbliebenen wird ein anderer sein. Der, dass es Deutschland nicht geschafft hat, Gerechtigkeit zu schaffen. Denn es war nicht einfach Pech, dass 21 Menschen gestorben sind an jenem Tag im Juli 2010.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: