Dreifachmord von Groitzsch:"Ich bin der, den Sie suchen"

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Ein Bayer soll in Sachsen drei Schrottdiebe getötet haben. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel: War das Metall dem christlichen Buchhändler drei Menschenleben wert? Und warum stellte er sich der Polizei?

Christiane Kohl

Es riecht nach Heu, Traktoren fahren auf den Wiesen herum. Eine Kleingartensiedlung schlängelt sich am Bach entlang. Der Ortsrand von Groitzsch, einer Kleinstadt im Süden von Leipzig, könnte beinahe idyllisch wirken. Wenn da nicht die älteren Industriebauten wären, der verlassene Bahnhof und die leer stehende Fabrik für Plastikverpackungen, an deren Zaun ein paar Vasen mit frischen Blumen an einen Todesfall erinnern. Etwas weiter entfernt ragen graue Wellblechhallen aus dem Wiesengrün hervor, hier parken schon seit Tagen die Polizeifahrzeuge. Auf dem Gelände, wo früher eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) ihre Geräteschuppen hatte, wurden Ende August zwei junge Männer erschossen, Denis H., 23, und Patrick B., 19. Seither ist die Polizei in dem gesamten Areal auf Spurensuche.

"Es ist relativ unübersichtlich und sehr zerwühlt": Der sächsische Landespolizeipräsident Bernd Merbitz, Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz und der Leiter der Polizeidirektion Westsachsen, Jürgen Georgie (von links) bei einer Pressekonferenz nach der Verhaftung des 40-jährigen Verdächtigen. (Foto: dpa)

Die Beamten suchen nach Hinweisen auf den Doppelmord, aber nicht nur das. Denn es gibt noch einen dritten Toten, der möglicherweise vom selben Schützen umgebracht worden ist: Tino L., 27, war im April 2009 getötet worden - an ihn erinnern die Blumen, die vorm Fabrikzaun stehen. Drei Tote gibt es also in der kleinen Stadt mit den 8000 Einwohnern, die im einstigen Gebiet des Braunkohletagebaus liegt und die sich neuerdings mit dem Slogan "Perle im Leipziger Neuseenland" als Tourismusdestination bekannt zu machen versucht. Auch einen mutmaßlichen Täter hat die Polizei vor Tagen in Untersuchungshaft genommen - kein Einheimischer, sondern Guido N., ein 40-jähriger Buchhändler aus dem oberfränkischen Cham.

Der Mann gibt der Polizei Rätsel auf. Guido N., der in Cham eine christliche Buchhandlung betreibt, ist der Besitzer des alten LPG-Grundstücks - und er hat einen Jagdschein. Die Polizei hatte ihn tagelang fieberhaft gesucht und europaweit zur Fahndung ausgeschrieben. Dann stellte er sich in Kraiburg am Inn plötzlich selbst der Polizei: "Ich bin der, den Sie suchen", soll er den Beamten nur gesagt haben, zuvor hatte seine Mutter bei der Polizei angerufen und ihren Sohn angekündigt. In seinem Auto lagen mehrere Waffen, darunter ein Revolver des Kalibers 357 Magnum - mit Projektilen aus dieser Pistole wurden nach den Untersuchungen der Polizeiexperten vermutlich alle drei jungen Männer in Groitzsch erschossen.

Waum wütet ein Bayer in Sachsen?

Doch Guido N. schweigt zu den Taten. Weder den bayerischen Polizisten, die ihn zunächst in Gewahrsam nahmen, noch den Beamten in Sachsen, wohin er überstellt wurde, gab er bislang Auskünfte zu möglichen Tathergängen. Und so rätseln die Ermittler über das Mordmotiv: Wie kommt ein christlicher Buchhändler aus Bayern dazu, in Sachsen drei Morde zu begehen? Niemand kann sich das erklären. Und könnte es womöglich noch mehr Opfer geben?

Um derlei Fragen nachzugehen, sind die Ermittler nun täglich auf Spurensuche in den grauen LPG-Hallen, die dem Buchhändler gehören. Und auch andernorts schauen die Beamten genauer nach: Guido N. besitzt weitere Grundstücke in Sachsen, etwa in der Nähe von Döbeln und Grimma, auf halber Strecke zwischen Leipzig und Dresden.

Führte der Mann vielleicht ein Doppelleben in Sachsen? "Nein", sagt sein Leipziger Anwalt Malte Heise, "die Besuche in Sachsen fügten sich harmonisch in seine Lebensführung in Bayern ein". Zur Sache will der Anwalt nichts sagen und er rät auch seinem Mandanten, sich derzeit nicht einzulassen.

So bleibt der Polizei nichts anderes übrig, als das Gelände mit den alten LPG-Hallen weiter zu untersuchen. Doch hier etwas zu finden, ist gar nicht so einfach: "Es ist relativ unübersichtlich und sehr zerwühlt", berichtet Staatsanwalt Ricardo Schultz. Die Hallen sind voll gestellt mit alten Fahrzeugen und Maschinen: Landwirtschaftliche Geräte, ein LKW mit Betonmischmaschine und sogar ein Feuerwehrauto sollen nach Berichten der Ermittler in den Lagerhallen stehen, dazu jede Menge Ersatzteile und Schrott.

Vergebliche Flucht im durchlöcherten Auto

Und darin könnte womöglich ein Tatmotiv liegen: Alle drei Opfer waren auf Schrottsuche gewesen. Bei den Todesfällen, die sich im August ereigneten, hatte eine Anwohnerin Samstagabends kurz vor 22 Uhr Schüsse gehört. Einer der Jungen hatte noch versucht, im Auto zu flüchten, das völlig durchlöchert in der Nähe des Bahnübergangs liegenblieb. Der zweite Tote wurde später in der Halle gefunden.

Auch Tino L., der 2009 erschossen wurde, hatte Schrott gesucht. Er war mit seiner Schwiegermutter unterwegs. Diese hatte seinerzeit nichts Sachdienliches erklären können, jetzt erinnerte sie sich daran, auch auf dem LPG-Gelände gewesen zu sein.

Von Guido N. wiederum ist bekannt, dass er mehrfach Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl erstattet hatte. Sollte der Schrottklau das Mordmotiv sein?

© SZ vom 14.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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