Conchita Wurst:"Eigentlich irrelevant"

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Der Drag-Künstler Thomas Neuwirth entscheidet sich, seine HIV-Infektion öffentlich zu machen, um einem Erpresser zuvorzukommen - und der gesellschaftlichen Stigmatisierung Infizierter.

Von Martin Zips

In seiner Rolle als Conchita Wurst weltbekannt: Thomas Neuwirth bei einem Auftritt in Frankfurt (2017). (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Er nenne sich Wurst, sagte einmal der oberösterreichische Gastwirt-Sohn Thomas Neuwirth, 29, weil es völlig wurst sei, woher man komme und wie man aussehe. Neuwirth hätte sich theoretisch auch Thomas Jefferson nennen können, denn bei Jefferson, Gründervater der Vereinigten Staaten von Amerika, lautete der Satz einst so: "Alle Menschen sind von Geburt aus gleich." Wurst also, dass Jefferson nicht aus Oberösterreich, sondern aus Virginia stammt. Jesus wiederum, der auf manchen Bildern aussieht wie Conchita Wurst, soll gesagt haben: "Wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat." Hautfarbe, Religion, Herkunft - unter Gottes Himmel ist alles wurst. Theoretisch.

Praktisch hat sich der Drag-Künstler und Sieger des Eurovision Song Contest 2014, Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst, am Sonntagabend gezwungen gesehen, seine HIV-Infektion öffentlich zu machen. Bereits seit Jahren, so schreibt er auf Instagram, sei er HIV-positiv, für die Öffentlichkeit "eigentlich irrelevant", zumal er "seit vielen Jahren unterbrechungsfrei unter der Nachweisgrenze" liege und "damit also nicht in der Lage, den Virus weiterzugeben". Nur: Ein Ex-Freund drohe ihm, "mit dieser privaten Information an die Öffentlichkeit zu gehen".

Mit seinem Coming-Out kam Neuwirth dem Erpresser zuvor: "Ich gebe auch in Zukunft niemandem das Recht, mir Angst zu machen". Zudem hoffe er, "einen weiteren Schritt zu setzen gegen die Stigmatisierung von Menschen, die sich durch ihr eigenes Verhalten oder aber unverschuldet mit HIV infiziert haben". Da die ganze Welt Neuwirths Kunstfigur kennt und mag (in Sydney hat er vor ausverkauftem Opernhaus gesungen), war sein Outing eine große Sache. Vom Aftonbladet bis zur BBC, vom Corriere della Sera und The Australian bis zur New York Times - alle berichteten. Grundtenor: Neuwirths Bekenntnis sei mutig in einer Zeit, in der eine HIV-Diagnose noch immer zu Diskriminierungen führe. Trotz Kombinationstherapie, die die Viruslast im Blut erheblich senke.

Dass jedem alles wurst ist und alle Menschen gleich - das bleibt eben auch im Jahr 2018 eine Utopie. Die Deutsche Aidshilfe nannte Neuwirths erzwungenes Outing denn auch "erschütternd", da es zeige, "dass wir gesellschaftlich noch weit davon entfernt sind, dass man mit HIV ganz selbstverständlich leben kann". Auch Charlie Sheen, "Magic" Johnson, Holly Johnson, Nadja Benaissa und viele, viele andere Prominente hatten ihre HIV-Infektion in den vergangenen Jahren öffentlich gemacht. Nicht immer freiwillig.

Thomas Neuwirth will sich, aus verständlichen Gründen, nicht weiter zu der Sache äußern. Im Herbst möchte er ein Album mit den Wiener Symphonikern veröffentlichen, Ende April wird er die "Amadeus Austrian Music Awards" moderieren. Die Gesellschaft kann all das als Schritt gegen Stigmatisierung begreifen. Käme es wirklich so, es wäre diesmal alles andere als wurst.

© SZ vom 17.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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