Brände in Chile:Als das Paradies zur Hölle wurde

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2000 verkohte Häuser und Zerstörung auf mehr als 800 Hektar: Soldaten kämpfen nahe Valparaíso gegen das Feuer. (Foto: AFP)

Zwölf Tote, 2000 zerstörte Häuser. Auf fast 800 Hektar frisst das Feuer in Chiles Hafenstadt Valparaíso fast alles, was sich ihm in den Weg stellt. Schuld an der Katastrophe sind aber nicht nur widrige Naturphänomene - sondern auch die extreme Ungleichheit im Land.

Von Peter Burghardt

Als das Feuer kam und mit ihm der Tod, klang der schöne Name auf einmal zynisch: Valparaíso. Paradiestal. Chiles wichtigste Hafenstadt mit ihren 900 000 Bewohnern im Großraum liegt an einer Bucht am Pazifik, 120 Kilometer entfernt von Santiago, ein Kosmos von Geschichten und Tragödien. Das Zentrum ist Weltkulturerbe, dort steht auch das chilenische Parlamentsgebäude, wo kürzlich die Präsidentin Michelle Bachelet vereidigt wurde. Die größte Attraktion aber sind die 42 Hänge mit ihrem grandiosen Blick auf das Meer, das am Wochenende hinter Flammen, Rauch und Verderben verschwand.

Serpentinen, Treppen und die berühmten Aufzüge führen hinauf in hübsche und traurige Zonen mit ihren Häusern aus Beton, Blech und vor allem Holz. Sie heißen Cerro Alegre, lustiger Hügel, oder Cerro Concepción, Hügel Empfängnis. Manche dieser Bezirke sind für Bohème und Touristen hergerichtet worden, mit Terrassen und phantastischer Aussicht. Andere sind Armenviertel. In diesem Labyrinth wohnte auch der Dichter Pablo Neruda. "Valparaíso, was für ein Irrsinn du bist", schrieb Neruda, "was für ein Kopf, niemals fertig dich zu kämmen, zu ordnen, niemals hattest du Zeit, dich anzukleiden, dich fertig zu machen. Immer hat dich das Leben überrascht, hat dich der Tod aufgeweckt, im Hemd und in langen Unterhosen."

Der Poet meinte damals die Beben, die Valparaíso periodisch heimsuchten. Doch jetzt brannte dieser ungekämmte, niemals fertig frisierte Kopf. Das Paradiestal wurde binnen Stunden zum Inferno.

Seinen Lauf nahm das Desaster Samstagnachmittag. Brandstiftung schließen die Ermittler derzeit aus. Vielmehr könnte sich durch die Hitze, die derzeit in Südamerika herrscht, eine Weide entzündet haben. Diskutiert werden auch zwei Geier als Brandursache: Die Tiere wurden verkohlt gefunden. Womöglich habe der Wind Hochspannungsleitungen zusammengeführt, auf denen die Vögel saßen, spekuliert die Staatsanwaltschaft. Die glühenden Vögel hätten dann trockene Blätter am Boden entzündet. Der Wind habe das Feuer angefacht und die Funken verteilt. Jedenfalls rollte bald eine danteske Feuersbrunst über die Berge. Annähernd 800 Hektar züngelten und rauchten, gelbrot und schwarz. Der Brand fraß fast alles auf seinem Weg. Es verschlang mindestens 13 Menschen und ungezählte Tiere. Etwa 2000 Häuser verkohlten. Gasbehälter explodierten, ein Knall nach dem anderen platzte in das Geheul der Sirenen. Überlebende schleppten Matratzen mit, Fernsehgeräte und was sie in der Panik sonst noch in den Griff bekamen. "Das Feuer war wie eine brennende Zunge", berichtete eine Frau der argentinischen Zeitung La Nación. "Glühende Kohlen fielen herab, wie Meteoriten. Auf dem Weg sahen wir Tiere. Schweine brannten, Enten zappelten." So rannten die Flüchtenden die brennenden Hügel hinab - erst vor Kurzem war man noch bergauf geflohen, oben galt als sicher. Nach den Erdstößen im chilenischen Norden und der folgenden Warnung vor dem Tsunami hatte die Regierung am 1. April die Küste evakuiert und die Bewohner in höhere Lagen beordert. Die Aktion gelang. Es gab nur vier Tote zu beklagen, die Schäden hielten sich trotz der enormen Stärke des Bebens von 8,2 in Grenzen.

Großbrand in Chile
:Die Feuerwand von Valparaíso

Flammenwände vor Hochhäusern: Ein außer Kontrolle geratener Waldbrand hat die chilenische Hafenstadt Valparaíso erreicht. Bilder der Naturkatastrophe an der Pazifikküste.

Beim Brand jedoch gab es nun Bilder des Schreckens. Das Feuer suchte sich immer neue Wege und flammte noch am Montag auf. Nie hatte Valparaíso solche Flammen erleben müssen, trotz der diversen Tiefschläge der Vergangenheit. Da waren während der Kolonialzeit die Überfälle von Piraten wie Sir Francis Drake. Da war der Verfall nach dem Bau des Panamá-Kanals, der den Umweg über Kap Hoorn überflüssig machte und diesem Hafen seine Bedeutung nahm. Da war der Putsch 1973: Dessen Rädelsführer, Diktator Augusto Pinochet, stammte wie sein Opfer Salvador Allende aus Valparaíso. Da waren all die Erdbeben, das schlimmste 1906.

Chiles Wirtschaftswunder gilt nur für eine Minderheit

Die Natur zwischen Anden und Pazifik ist launisch und gewaltig, das weiß auch die Staatschefin Bachelet. Ihre erste Amtszeit endete mit dem Grauen vom 27. Februar 2010, als der Boden dermaßen schwankte, dass mehr als 500 Menschen starben und Tausende Gebäude einstürzten. Ihre zweite Amtszeit seit März 2014 wurde gleich zu Beginn von dem Seebeben vor Iquique durchgeschüttelt, es folgte die Hölle von Valparaíso. Die Sozialistin rief erneut den Notstand aus, 10 000 Betroffene wurden in Notunterkünften einquartiert.

Die Natur war es diesmal allerdings nicht allein, trotz der ungünstigen Witterung. Schuld sind auch mangelnde Vorsorge und eine extrem ungleiche Gesellschaft. Valparaíso war einmal der wirtschaftliche Mittelpunkt Chiles, deutsche und britische Immigranten ließen sich dort nieder. Aber es verkam zu einer chaotischen Siedlung voller prekärer Behausungen und Müll. Man hätte den Folgen des Brandes vorbeugen können, klagt der Städteplaner Iván Poduje in der spanischen Zeitung El País. Zu spät. Das vermeintliche Wirtschaftswunder Chiles gilt auch hier nur für eine Minderheit. Die Gewinner vergnügen sich nebenan im mondänen Badeort Viña del Mar. Den Verlierern bleibt die Asche.

© SZ vom 15.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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