Berlin:Mindestens Tempo 93, ein Promille

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Tödlicher Unfall mit Polizeiwagen: Der Blutalkoholwert des Polizisten lag bei etwa einem Promille. Ab 1,1 Promille gilt man als „absolut fahruntüchtig“. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Ein Polizist rammt mitten in Berlin das Auto einer 21-Jährigen. Sie stirbt. Dass der Beamte alkoholisiert gewesen sein soll, erfährt die Staatsanwaltschaft erst durch einen anonymen Hinweis.

Von Jens Schneider, Berlin

Ein Jahr liegt der Verkehrsunfall zurück, bei dem die 21 Jahre alte Fabien M. getötet wurde. Mittags, mitten in Berlin, in der Grunerstraße, nahe dem Alexanderplatz. Die junge Frau starb, weil ein Polizeiwagen mit hoher Geschwindigkeit ihren Kleinwagen rammte. Die Polizisten waren auf dem Weg zu einem Einsatz, der sich später als Fehlalarm herausstellen sollte. Es handelt sich um eine breite Straße mit sehr dichtem Verkehr, sie ist schwer zu überblicken - kein Ort für hohes Tempo. Einem Gutachten zufolge soll das Polizeiauto kurz vor dem Unfall mehr als 130 Kilometer pro Stunde gefahren sein, beim Aufprall war es noch mindestens Tempo 93. Jetzt hat sich herausgestellt, dass der Polizist am Steuer am Unfall-Tag Alkohol im Blut hatte, und die Berliner Polizei hat eine Reihe heikler Fragen zu beantworten - auch weil sie im Fall ihres Kollegen einigen naheliegenden Fragen womöglich nicht nachging.

Im letzten Herbst standen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kurz vor dem Abschluss, doch dann bekam die Behörde von Matthias Hardt, dem Anwalt der Eltern des Unfallopfers, einen anonymen Hinweis weitergeleitet. Einige Wochen vergingen, dann konnte sie die Krankenakte des Polizisten beschlagnahmen, der nach dem Unfall in eine Klinik gebracht worden war. Aus der Akte geht hervor, dass der Blutalkoholwert bei etwa einem Promille gelegen haben soll. Ab 1,1 Promille gilt ein Fahrer als "absolut fahruntüchtig".

Verdacht der Trunkenheit am Steuer

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigt, dass nun auch wegen des Verdachts der Trunkenheit am Steuer gegen den Polizisten ermittelt wird. Er erklärt, dass die Staatsanwaltschaft bis zu dem anonymen Hinweis aus dem vergangenen Herbst keine Hinweise in dieser Richtung hatte. Nach dem Unfall hatten die Kollegen des Polizisten also offenbar keine Alkoholkontrolle angeordnet. Eine Stellungnahme der Berliner Polizei gab es dazu bis Montagmittag nicht, auch der Beamte selbst hat sich bisher nicht geäußert.

Der Anwalt der Eltern der jungen Frau ist sicher, dass der Polizist damals "objektiv nicht in der Lage war, dieses Fahrzeug zu führen". Matthias Hardt wirft der Staatsanwaltschaft Versagen vor, weil sie nicht schon wenige Stunden nach dem tödlichen Unfall die Akten aus der Klinik beschlagnahmt habe. Der Anwalt äußerte sich am Freitag gemeinsam mit den Eltern vor Journalisten. Sie zeigten sich besorgt, dass bei diesen Ermittlungen vielleicht ein Polizist von Kollegen geschützt werden sollte, einem falsch verstandenen "Ehrenkodex" folgend.

Der Anwalt der Eltern beklagt an diesem Montag, dass er seit Monaten schon keine Akteneinsicht mehr erhalten habe. Hardt spricht von einem "fürchterlichen Justizskandal". Nun sieht es so aus, als ob der fast schon abgeschlossene Fall neu aufgerollt wird. Auch die Berliner Politik reagiert. So hat Benedikt Lux, Innenpolitiker der Grünen, einen Fragenkatalog für den Innenausschuss des Landesparlaments vorgelegt. Er erwartet von Innensenator Andreas Geisel (SPD) Auskunft über die einzelnen Ermittlungsschritte und will auch wissen, "welche Temporegeln es bei Eilfahrten der Polizei und Feuerwehr gibt" - insbesondere im verdichteten Straßenverkehr. Lux stellt auch die Frage, wann der Unfallfahrer zum ersten Mal vernommen wurde und inwiefern die mutmaßliche Alkoholisierung des Tatverdächtigen am Tattag nicht erkennbar war. "Es darf nicht der Anschein erweckt werden, dass gegen Polizisten als Tatverdächtige nachlässig ermittelt wird", mahnt der Grünen-Politiker.

Wie lange die Ermittlungen nun noch dauern werden, konnte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft am Montag nicht einschätzen.

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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