Berlin:Bombe im Berufsverkehr

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Mitten in der Hauptstadt explodiert ein Sprengsatz an einem Auto. Der Fahrer, offenbar ein polizeibekannter Bodybuilder, stirbt. Steckt die organisierte Kriminalität hinter dieser Tat?

Von Verena Mayer, Berlin

Die Bismarckstraße führt durch jene Gegend, die man in Berlin gern den "alten Westen" nennt. Im Herzen der Hauptstadt, zutiefst bürgerlich, die Deutsche Oper befindet sich auch hier. Doch am Dienstag sah es an der Durchzugsstraße mit Blick auf die Siegessäule aus wie in einem Krisengebiet. Überall lagen Trümmer verstreut, die Straßen in der Umgebung waren abgesperrt, und die Polizei forderte die Anwohner in Lautsprecher-Durchsagen auf, in ihren Wohnungen zu bleiben und die Fenster geschlossen zu halten. Am Morgen, mitten im Berliner Berufsverkehr, war ein Auto während der Fahrt explodiert. Der Wagen, ein VW-Passat mit Berliner Kennzeichen, begann zu brennen, fuhr gegen andere Autos und kam dann auf der Fahrbahn zum Stehen. Der Mann, der am Steuer saß, verblutete. Außer ihm kam niemand zu Schaden.

Berlin, Bismarckstraße, nur wenige Meter von der Siegessäule entfernt: Ermittler untersuchen das völlig zerstörte Auto, welches Mesut T. fuhr. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Es war schnell klar, dass sich unter dem Auto ein Sprengsatz befunden hatte, die Berliner Staatsanwaltschaft nahm deshalb Ermittlungen wegen Mordes auf. Ob der Sprengsatz dem Fahrer des Autos galt und wie er dorthin kam, ist dagegen noch nicht geklärt. Das Opfer Mesut T. ist 43 und kommt aus Berlin, war allerdings nicht selbst der Halter des Autos. Nach Informationen der Berliner Zeitung soll der Mann Bodybuilder gewesen sein und direkt an der Bismarckstraße gewohnt haben. Er war zudem seit Langem polizeibekannt, unter anderem wegen Drogendelikten, der Verbreitung von Falschgeld und illegalen Glücksspiels, wie die Berliner Staatsanwaltschaft mitteilte. Allerdings sei er seit 2008 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Berliner Polizei ermittelt derzeit in alle Richtungen, einen terroristischen Hintergrund schloss Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Dienstag dezidiert aus. Am späten Nachmittag stürmte ein Sondereinsatzkommando die Wohnung von Mesut T. Von verdächtigen Personen oder Gegenständen wurde zunächst nichts bekannt. Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU), der am Dienstag selbst an den Tatort kam, sagte, die Sicherheitsbehörden würden sämtliche Ressourcen in die Waagschale werfen, um den Hintermännern auf die Spur zu kommen. Die werden derzeit im organisierten Verbrechen vermutet. Wo genau, kam noch nicht heraus, fest steht allerdings: An kriminellen Netzwerken herrscht in der Hauptstadt kein Mangel. Da wären einmal mehrere miteinander verfeindete Rockerbanden, die mit Drogen und Anabolika handeln und sich seit Jahren blutige Kämpfe um ihren Einflussbereich liefern. Im Rockermilieu gehen auch immer wieder mal Autobomben los. So explodierte erst im Oktober in Hamburg der Lamborghini des Anführers einer lokalen Rockergruppierung, der Mann kam unbeschadet davon. Und 2009 hatten wohl Berliner Rocker eine Bombe unter dem Auto eines Brandenburger Kontrahenten befestigt, die aber noch rechtzeitig entschärft werden konnte. Gerade laufen vor dem Berliner Landgericht gleich zwei Prozesse, bei denen hochrangige Mitglieder der Hells Angels auf der Anklagebank sitzen. Es geht um Racheakte, um einen Mord an einem Türsteher und eine regelrechte Hinrichtung in einem Wettbüro.

SZ-Grafik (Foto: ipad)

Früher waren Autobomben noch ein Phänomen des linken Terrorismus

Zudem gibt es in Berlin auch noch ein gutes Dutzend krimineller Familienclans unterschiedlichster Nationalitäten. Zu ihnen gehören mehrere Tausend Leute, die, wie aus einer Studie im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Justiz hervorgeht, in Teilen Berlins "ein Klima der Angst" geschaffen hätten. Unter anderem im Bezirk Charlottenburg, in dem das Auto explodierte. Ihr Kennzeichen: viele Berührungspunkte mit dem organisierten Verbrechen und wenig Respekt vor der deutschen Justiz. Die Clans leben nicht nur von Drogenhandel, Prostitution und Überfällen, sondern inzwischen auch davon, winzige Wohnungen überteuert an Flüchtlinge zu vermieten. Immer wieder werden Konflikte auf offener Straße ausgetragen, vergangenen Sommer lieferte sich auf dem Olivaer Platz, ebenfalls in Charlottenburg, ein Mann aus einem Geländewagen heraus eine Schießerei mit Leuten vor einem Café. Dabei wurde eine unbeteiligte Fahrradfahrerin schwer verletzt.

Im Gegensatz zu anderen Ländern sind Autobomben in Deutschland eher selten. Vor allem in den Siebziger- und Achtzigerjahren waren sie ein Phänomen des linken Terrorismus. So verübte 1972 die RAF mit zwei Autobomben einen Anschlag auf das europäische Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg, drei US-Soldaten starben.

Die "Luftwaffe des kleinen Mannes", so nannte der amerikanische Historiker Mike Davis solche Sprengsätze in seinem 2007 erschienenen Buch "Geschichte der Autobombe". Eine Waffe, die - weil günstig und einfach herzustellen - eines Tages weltumspannend vertreten sein werde "wie iPods". Es sieht so aus, als hätte sie inzwischen auch den alten Berliner Westen erreicht.

© SZ vom 16.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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