Babak Rafati bei Reinhold Beckmann:Zurück im Leben, zurück in der Öffentlichkeit

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Tabu-Thema Suizid: Ex-Schiedsrichter Babak Rafati zu Gast bei Reinhold Beckmann. (Foto: dpa)

Reinhold Beckmann spricht mit dem Ex-Schiedsrichter Rafati über dessen Suizidversuch. Es ist eine wichtige Sendung, weil eine Sensibilisierung stattfindet für ein Thema, das immer noch ungern thematisiert wird. Nur: Hätte man nicht darüber sprechen können, ohne den Menschen der Öffentlichkeit zu präsentieren?

Von Jürgen Schmieder

Die Frage ist verboten. Man darf sie nicht stellen, wenn da ein Mensch vor 16 Monaten versucht hat, sich umzubringen und sich nun langsam in jenes Leben zurückkämpft, das er damals hatte beenden wollen. Der versucht, die Geschehnisse zu verarbeiten, eine schlimme Krankheit zu besiegen und nun hoffentlich eine glückliche Zukunft vor sich hat.

Doch wenn man Babak Rafati da so sitzen sieht im Studio von Reinhold Beckmann, dann drängt sich diese Frage immer wieder auf. Erst vorsichtig, dann immer pochender, bis man schließlich an nichts anderes mehr denken kann als an diese Frage.

Sie lautet: Warum? Der öffentliche Druck und eine schwere Depression hatte beinahe zum Suizid eines Menschen geführt - warum gibt dieser Mensch nun ein Interview im Stern, in dem er jene anprangert, die seiner Meinung nach einen Anteil hatten daran, dass er derart verzweifelt war, dass er nicht mehr leben wollte? Warum schreibt so ein Mensch ein Buch mit dem Titel "Ich pfeife auf den Tod"? Warum setzt sich so einer in eine Talkshow?

Rafati sitzt bei Beckmann - und der fünfte Satz der Begrüßung Beckmanns lautet: "Warum?"

Doch zuerst einmal die Frage, die viel wichtiger sein sollte: Wie geht es Babak Rafati jetzt? "Es geht mir gut", sagt er, "ich bin zurück im Leben." Er sei zufrieden mit seiner Therapie, er habe seine Krankheit akzeptiert und fühle sich auf einem guten Weg. Es brauche Zeit, aber die habe er sich genommen. Man hätte in diesem Moment den Fernseher ausschalten können, denn eigentlich ist das - dass es Rafati gutgeht - alles, was einen von Rafati interessieren sollte.

Beckmann geht danach zur Warum-Frage über und setzt die öffentliche Trauerarbeit und Vergangenheitsbewältigung in Gang. Das indes ist nicht neu: Uli Borowka lieferte mit seinem Buch "Volle Pulle" eine schonungslose Aufarbeitung seiner Trinksucht als Fußballprofi, Sebastian Deisler erklärte in "Zurück ins Leben" seine Depressionen. Nun Babak Rafati.

Bei ihm sah es lange Zeit so aus, als wolle er die Geschehnisse vom 19. November 2011 in aller Stille aufbereiten. Er hatte vor der Partie zwischen dem 1. FC Köln und dem FSV Mainz 05 - die er hätte leiten sollen - einen Suizidversuch unternommen. Seine Assistenten hatten ihn rechtzeitig gefunden.

Schon damals gab es die Frage nach dem "Warum?", doch es verbat der Respekt vor Rafati und seiner Familie, darüber zu spekulieren, warum sich der Leiter einer Sparkassenfiliale und Fifa-Schiedsrichter das Leben nehmen wollte. Psychologen raten in diesem Fällen ohnehin dringend, keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides anzudeuten.

Doch genau das tut nun Rafati selbst. Ungefragt. Ohne, dass jemand spekuliert hätte. Zuerst in einem Interview mit dem Stern, das am Donnerstag erschienen ist. Er erklärt sich, greift aber auch Schiedsrichterchef Herbert Fandel heftig an: "Als Herbert Fandel mein neuer Chef wurde, habe ich absolut keine Rückendeckung mehr bekommen. Ich war es gewohnt, sachliche Kritik zu erfahren, aber keine aus meiner Sicht persönlichen Verletzungen."

Er habe nur "Kälte" und "Unerbittlichkeit" erlebt, was offenbar in dem Satz gipfelte, dass jeder Schiedsrichter Fehler machen dürfe, "nur du nicht, Babak". Rafati sagt: "Das war meine gefühlte Giftspritze. Dieser Satz hat mich bis ins Hotelzimmer in Köln verfolgt." Er wisse nicht, ob er ihn irgendwann in seinem Leben loswerde - "ich glaube nicht".

Perfektionistischer Macho

Bei Beckmann zeichnet Rafati zunächst ein Bild von sich selbst, bei dem die Begriffe "Stolz" und "Männlichkeit" besondere Bedeutung haben. Er sei ein Perfektionist gewesen, ein echter Kerl, ein Macho. Einer, der immer stark gewesen sei und das den Mitmenschen auch gerne offenbart habe. Er habe keine Gefühle zeigen können und sei dadurch immer mehr unter Druck geraten sei, unter dem er schließlich zerbrochen sei: "In dieser Nacht hatte ich keine Kontrolle mehr, die Kraft hat mich verlassen."

Dann geht es um jene, die womöglich von außen auf Rafati Druck aufgebaut haben. Er sagt zwar: "Ich sehe niemanden als Täter und mich selbst als Opfer. Darum geht es mir gar nicht. Mir geht es einfach darum, diese Missstände in diesem Bereich, in dem ich tätig war, aufzudecken. Was in dieser Nacht passiert ist, muss ich mir ganz allein zuschreiben."

Er sagt aber auch, dass er sich von Herbert Fandel "menschenunwürdig, sehr kalt und persönlich verletzend" behandelt gefühlt habe: "Man hat mich systematisch gemobbt." Und er wolle zeigen, "was passieren kann, wenn man mit Menschen so umgeht", wie es Fandel getan habe: "Ich kann mir natürlich gut vorstellen, dass das für alle Beteiligten nicht schön ist."

Rafatis Entscheidung

Es ist keine schöne Sendung, weil der Zuschauer Dinge erfährt, die er vielleicht gar nicht erfahren möchte. Es ist eine unbequeme Sendung, weil Sachen angesprochen werden, die angesprochen werden müssen. Es ist eine wichtige Sendung, weil eine Sensibilisierung stattfindet für ein Thema, das hierzulande immer noch ungern thematisiert wird. Es tat weh, diese Sendung zu sehen - weil man sich wohl trotz aller Erklärungsversuche kaum vorstellen kann, was da mit einem Menschen passiert ist in den Wochen vor dem Suizidversuch.

Nur: Brauchte es dafür wirklich Babak Rafati? Hätte man nicht über dieses wichtige Thema sprechen können, ohne den Menschen der Öffentlichkeit zu präsentieren, den einst der öffentliche Druck zu dieser Verzweiflungstat getrieben hat? Hätte nicht das Gespräch mit Florian Holsboer genügt, der als Direktor des Max-Planck-Instituts ebenfalls zu Gast war? Es war Rafati selbst, der den Weg in die Öffentlichkeit wählte. Er wird wissen, dass nun wieder über ihn geschrieben und gesprochen wird.

Wenn es Rafati hilft, die Geschehnisse vom 19. November 2011 besser zu verarbeiten und eine neue Zukunft zu beginnen, dann soll er im Fernsehen auftreten, Interviews geben und Bücher schreiben. Wenn es ihm nicht hilft, dann bleibt die Frage: Warum?

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbsttötungen und deren Versuche zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung im Fall Rafati gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide und Suizidversuche.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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