Anschlag auf Boston-Marathon:Der Held von Watertown

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In dem Boot hinter dem Baum hatte sich Dschochar Zarnajew versteckt. Direkt vor David Henneberrys Haustür. (Foto: REUTERS)

Die 9000 Polizisten, die das Städtchen Watertown einen Tag lang durchsuchten, blieben erfolglos. Es war der Zufall, der schließlich die Jagd nach Dschochar Zarnajew beendete. Und der David Henneberry zum Helden machte.

Von Lena Jakat

Das Publikum fiebert seinem Auftritt entgegen. Doch bislang sind es nur Nebendarsteller, die den Zuschauern berichten, was diese nicht sehen konnten. David Henneberry, der Protagonist, ist noch nicht da. Er sitzt vermutlich irgendwo in einem Amtszimmer, wo er von Anti-Terror-Ermittlern befragt wird. Befragt wird zu den Augenblicken, die Henneberry zum Helden machten. Als er Dschochar Zarnajew in seinem Boot entdeckte.

Es ist 18 Uhr am Freitagabend, als der Gouverneur von Massachusetts, Deval Patrick, die Niederlage der Polizei erklärt und die Ausgangssperre in Watertown aufhebt. In den vergangenen 14 Stunden hatte der beschauliche Vorort im Westen Bostons eine Ausnahmesituation erlebt, die seine Bewohner nur aus Weltuntergangsfilmen kannten. Straßen wie leergefegt, keine Busse auf den Straßen, keine Taxis, keine Privatfahrzeuge. Keine Jogger oder Hundebesitzer, keine Zivilisten. Dafür 9000 schwer bewaffnete Polizisten, die mit dem Sturmgewehr im Anschlag jedes Haus überprüften, jeden Garten in der 32.000 Einwohner-Kommune. Vergeblich. Nachdem die Aktion ohne Erfolg bleibt, gibt Patrick Entwarnung:

Henneberry hatte wie seine Nachbarn den ganzen Tag über im Haus verbracht. Er hatte womöglich ab und an die Straße mit den Augen nach Sicherheitskräften abgesucht, Polizisten vielleicht sogar dabei beobachtet, wie sie seinen Garten durchsuchten. Er hatte das Geschehen vor seiner Haustür vermutlich im Fernsehen verfolgt, wo die "Menschenjagd" nach Dschochar Zarnajew in Dauerschleife lief. Und hatte wohl nicht die geringste Ahnung, dass sich der gesuchte 19-Jährige nur wenige Meter von ihm versteckt hielt. In seinem Boot, das hinter dem Haus mit der weißen Holzfassade auf einem Anhänger in der Einfahrt steht. Henneberry liebt das Motorboot aus den 1980ern. "Es ist sein Baby. Er kümmert sich drum - das glauben Sie nicht", wird der Nachbar George Pizzuto später dem Nachrichtensender ABC sagen.

Als er erfährt, dass die Ausgangssperre aufgehoben ist, verlässt Henneberry gegen sieben Uhr sein Haus - ob um eine Zigarette zu rauchen, oder um seinem Hund Auslauf zu verschaffen, oder gar beides, darüber sind sich die wenigen Berichterstatter uneins. In jedem Fall bemerkt Henneberry, das etwas nicht stimmt mit seinem Boot. "Er ging hin und sah, dass die Plane verrutscht war und einer der Riemen lose herunterhing. Er hob ihn hoch und bemerkte, dass er durchgeschnitten war. Er fand das sehr seltsam", berichtet Henneberrys Stiefsohn Steven Duffy später der Zeitung New York Daily News.

Als er in das Boot blickt, sieht er Blut, und "etwas, von dem er dachte, es sei ein Körper", wie es der Nachbar Pizzuto schildert. Henneberry läuft zurück ins Haus, ruft die Polizei. Wenig später sammeln sich Einsatzkräfte in seinem Garten. Sie fordern den Mann auf, nicht nach draußen zu gehen. Hubschrauber kreisen über dem Grundstück, Blendgranaten werden geworfen, Schüsse fallen und durchlöchern das Motorboot. "Das wird ihm nicht gefallen", sagt Stiefsohn Duffy. "Er ist da sehr pingelig."

Zwei Stunden dauert der Einsatz in Henneberrys Garten. Nach Polizeiangaben hatte der Terrorverdächtige nach langer Verfolgung schließlich aufgegeben. "Schließlich tat er, was wir ihm befohlen hatten, stand auf und hob sein Hemd hoch", sagte der Polizeichef von Watertown. Die Polizei wollte so sehen, ob der Verdächtige Sprengstoff bei sich trug. In einem Interview des TV-Senders CNN sprach Deveau von "20 Minuten Verhandlungen" mit dem schwer verletzten Dschochar Zarnajew. Er räumte allerdings ein, dass Zarnajew dabei "nicht viel gesagt" habe - er habe aber noch um sich geschossen. Dann war die Jagd vorbei. Die Polizei von Boston twitterte:

Am Ende waren es nicht nur die 9000 Polizisten, die den mutmaßlichen Attentäter von Boston aufspürten, nicht die Suchhunde der Polizei, nicht Helikopter oder Spezialgerät. Die Festnahme von Dschochar Zarnajew ist vor allem das zufällige Verdienst eines Bootsbesitzers von Watertown.

Amerika hat jetzt einen Schuldigen, der möglicherweise Antworten geben kann auf die Hintergründe zu den Anschlägen vom Montag. Und Amerika hat einen Helden. Er muss sich nur noch zeigen.

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Stundenlang sollten die Menschen in Boston ihre Häuser nicht verlassen, während die Polizei nach Dschochar Zarnajew, dem mutmaßlichen zweiten Attentäter des Marathons, fahndete. Danach entlud sich die aufgestaute Angst in Jubel und Dankbarkeit für die Einsatzkräfte - auf den Straßen ebenso wie auf Twitter.

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